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Fakten zur Aufführung 

MATHIS DER MAHLER
(Paul Hindemith)
16. Oktober 2005

Hamburgische Staatsoper

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Ganz klein nur haben sie den Namen Paul Hindemith auf ihr programmatisches Heft zur Oper „Mathis, der Maler“ geschrieben. So klein wie es vermeintlich dem inoffiziellen Urteil der Rezeptionsgeschichte entspricht. Reichlich rar nimmt sich dieses Werk in sieben Bildern auf den Spielplänen der deutschen Bühnen aus, gilt – noch gelinde gesagt – als konservativ und etwas zu musikantisch. Dementsprechend lässt sich nun das phänomenale Engagement der postmetzmacherischen Hamburgischen Staatsoper um die Musik Paul Hindemiths nicht als Ausgrabung eines bislang verborgenen oder gar ‚entarteten’ Kunstwerks begreifen, sondern eher als eine Umgrabung. Bestehendes, aber zu pauschales Ressentiment („Staatsoper des ‚Dritten Reiches’“; „fatale Wendung zum Offiziellen“) wird dramaturgisch von Christoph Becher, musikalisch von Simone Young und inszenatorisch von Christian Pade umgepflügt. Die alte These, dass man die (Kunst-)Werke mit Abstand oft besser, zumindest anders verstehen kann als ihre Zeitgenossen, greift also auch hier: insbesondere den beiden Frauenfiguren, Regina Schwalb und Ursula Riedinger, aber wohl auch Bauernführer Schwalb und dem Kardinal Albrecht von Brandenburg widmete sich bislang wohl kaum jemand derartig intensiv wie die Hamburger.

Hatte man sich nun vorgenommen, Regina (jugendlich-strahlend: Inga Kalna) besonders groß zu machen – so gelingt dies szenisch allenthalben auch: ganz entzückend im ersten Bild, wie sie eine Feder in den zu imaginierenden Brunnen fallen lässt, vollkommen plastisch im vierten Bild, wo sie den Todesblick ihres Vaters empfangen muss und regielich meisterhaft im sechsten Bild, wie sie, in Leib und Seele verdoppelt, ihre Todeserfahrung an Mathis kommuniziert (gesanglich leider indisponiert, aber dennoch mit erzenem Heldenbariton: Falk Struckmann, der indes darstellerisch zurückbleibt).

Ein weiteres Verdienst des Regisseurs Christian Pade dürfte vor allem auch darin bestehen, Ursula zu einer wahren Figur der Opernbühne gemacht zu haben. Wird sie doch sonst zwischen Opferlamm und Männerideologem gefangen gehalten, setzt Pade hier ganz anders an: nahezu wie eine femme fragile, zerbrochen von der (Männer-) Welt, lässt er Riedinger (kultiviert und souverän: Harald Stamm) im Choralschluss – ganz insola scriptura waltend – seiner Tochter das Wort aufdrücken und macht sie so zum symbolischen Frauenopfer der neuen (und damit alten) Religion. Als Gebrochene ersingt sie (hervorragend: Susan Anthony) dann die Wandlung Albrechts vom herrschenden Designsammler zum bestürzenden Obdachlosen (im Rollendebüt gleich eine Weltklasseleistung von Scott MacAllister – vielleicht hat Young in ihm den Tenor für den geplanten Brittenzyklus schon gefunden).

Daneben besticht – ganz im Sinne Blochs – die Idee, Bauernführer Schwalb (kraftvoll, biegsam und mit vorbildlicher Deklamation: Pär Lindskog) zu einem Vorkämpfer des „neuen Glaubens“, des Humanen – dass Menschen menschlich leben können – zu machen. Als neuzeitlicher Märtyrer ruft Schwalb sein Credo in die Jahrhunderte europäischer Unterdrückungsgeschichte hinein, bevor er hinterrücks (!) aufgespießt wird. Eine Szene mit Tiefe, die dann leichtfertigerweise durch hereingetragene Pappritter (und vollkommen wirkungslose Videodublikationen) konterkariert wird. Hinter deren Fassade entblättert sich dann allerdings ein blutendes Mahnbild Frontgefallener. Dazu lässt Simone Young eine Grabeshymne erklingen: der vermeintliche Triumphzug des Truchseß zerrinnt zu einem tonalen See aus Tränen. Aufs Ganze gehört setzt Young überaus starke dynamische Akzente, nutzt die von Hindemith immer wieder verlangte Freiheit im Zeitmaß und belässt nicht einen Ton im beliebigen Irgendwo (mal abgesehen von den individuellen „Verspählern“ im Engelskonzert).

Am Ende der Bilanz steht meist ein Minus: Alexander Lintl vermochte atmosphärisch recht ansprechende Raumgestaltungen und eine durchaus flippig-etablierte Kostümmischung zu präsentieren, wirkt jedoch auf der konstruktiven Ebene zu schwach: das vorschuldidaktische Gesicht, Anatomietafeldeutlichkeit im Polyptychon und kreiselnde Stuhlmobiles über der Versuchungsszene sind die Art Ingredienzien, die diese Inszenierung lähmen.

Taufrisch zeigt sich der Chor der Staatsoper von Florian Csizmadia vorbildlich einstudiert. Und schließlich gab es deutliche Bravos für die gesanglich und musikalisch hervorragende Leistung des gesamten Ensembles. Schön, dass das Radio dies alles festgehalten hat. (wh)


Fotos: © Franz Schlechter