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Fakten zur Aufführung 

ERWARTUNG
(Arnold Schönberg)
LE BAL
(Oscar Strasnoy, Uraufführung)
DAS GEHEGE
(Wolfgang Rihm)
7. März 2010 (Premiere)

Hamburgische Staatsoper


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Dreifach weibliche Abgründe

Oscar Strasnoy, in Argentinien geborener Komponist, der in Frankreich und Deutschland lebt, bekam den Auftrag, für die Hamburgische Staatsoper eine Oper zu schreiben. Ein dreiteiliger Abend sollte es werden, der mit Schönbergs Erwartung beginnt und mit Wolfgang Rihms Das Gehege – Rihm bezieht sich mit diesem Musikdrama unmittelbar auf Schönbergs Erwartung – endet. In der Mitte ein Werk, das in vielen Punkten Kontraste bietet: kein Monodram, sondern ein Ensemble aus sechs Gesangssolisten, keine dramatische Schwere als musikalischer Ausgangspunkt, sondern ein leichter Konversationston, der bei Strasnoy auch Züge des Ironischen und Sarkastischen trägt. Die Geschichte geht zurück auf die gleichnamige Erzählung der jüdischen Schriftstellerin Irène Némirovsky, Tochter russischer Eltern, die später in Frankreich lebte und arbeitete und 1942 im Konzentrationslager Auschwitz stirbt.

Es geht in der Erzählung um das zerrüttete Leben einer französischen Familie in den 1920er Jahren. Rosine, die Mutter, veranstaltet einen Ball – das tut sie oft, denn man ist zu Geld gekommen –, will ihre Tochter Antoinette daran nicht teilhaben lassen. Es kommen wie immer keine Gäste zum Ball, die Mutter geht nervlich an ihrem eigenen Leben zugrunde. Die lebenslustige Antoinette kann am Ende nur über ihre gescheiterte Mutter lächeln – „Ma pauvre Maman…“

Matthew Jocelyn, der für Le Bal auch das Libretto schrieb, erzählt die Geschichte in einem wunderbar skurrilen, stilisierten 20er-Jahre Millieu, lässt der Musik von Strasnoy den Raum, den sie braucht, um sich in ihrer Subtilität entfalten zu können. Dass die Partitur vor allem durch gekonnt eingesetzte Zitat- und Montagetechniken musikalischer Stile besticht und weniger durch eine von unbedingten Innovationen geprägte Tonsprache, wirkt hier wie eine notwendige Übereinstimmung zwischen Sujet und Partitur, die handwerklich sehr prägnant umgesetzt ist. Oscar Strasnoy musste sich als einziger beim Schlussapplaus Buhrufen aussetzen – ob da die Erwartungen an eine Uraufführung größer waren? Strasnoy mag noch nicht in jeder Faser seines Komponierens zu seinem eigenen Stil gefunden haben, diese Buhs waren indes unberechtigt.

Erwartung legt Jocelyn in einem kalten, klinischen Ambiente (Bühne und Kostüme sind von Alain Lagarde) als Momentaufnahme einer psychisch gestörten Frau in der Gerichtsmedizin an. Das hat durchaus überzeugende Ansätze, die allzu vielen in das Bühnengeschehen einbezogenen Statisten lenken von der introspektivischen Darstellung der Frau durch Schönberg doch etwas ab. Stärkere Bilder findet Jocelyn da für Rihms Gehege. Das übergroße Skelett eines Adlers – nur der Kopf ist noch unversehrt – ist umgeben von einer Glasvitrine, die bei der Uraufführung von einem Tänzer dargestellte Figur des Adlers wird hier zu einer Art Restaurator am Skelett, ein musealer Verwalter des Adlers – den die Frau bis zum Exitus bedrängt.

Die musikalische Seite des Abends gerät in jeder Hinsicht beeindruckend. Deborah Polaskis Sopran ist nach wie vor in bestechend-präsenter Form, klingt im Piano noch immer bemerkenswert unverbraucht und klar. In den exponierten Passagen ist die Artikulation nicht immer ganz exakt, das fällt indes bei der ebenso unveränderten Bühnenpräsenz der Polaski nicht ins Gewicht. Ihr galt am Ende genauso verdienter Jubel wie Hellen Kwon als Frau in Das Gehege. Die koreanische Sopranistin gehört seit vielen Jahren zum festen Ensemble in Hamburg, begann mit lyrischen und Koloraturpartien. Seit einiger Zeit wagt sie sich mehr und mehr in dramatischere Partien – zum Beispiel Senta – vor. Diese Entwicklung tut ihr offensichtlich sehr gut, die Stimme ist in blendender Verfassung, schwingt mühelos in dramatischen Phrasen ein, verliert dabei nie die Schönheit ihres Klanges – eine große Leistung, auch als Darstellerin, es bleibt Kwon nur zu wünschen, dass sie diesen Weg ebenso behutsam wie konsequent fortsetzen mag. An ihrer Seite gibt der Schauspieler Marco Stickel die Rolle des Adlers leider allzu unauffällig.

Das Ensemble in Le Bal meistert die Anforderungen an ein leichtes Parlando einerseits, an eine der Tragik des Stoffes angemessene Dramatik andererseits durchweg sehr souverän: Miriam Gordon-Stewart als Mutter Rosine genauso wie Trine W. Lund als Tochter Antoinette, dazu Peter Galliard (Vater), Ann Beth Solvang (Kindermädchen), Miriam Clark (Klavierlehrerin) und Moritz Gogg (Diener)

Simone Young steuert mit dem Philharmonischen Staatorchester stilsicher, plastisch und transparent durch die drei Partituren, an wenigen Stellen wäre ein ausgeprägteres Ohr für ihre Sänger wünschenswert gewesen, aber alles in allem zeigt sie hier eine bestechende Leistung – als Dirigentin wie auch als Intendantin mit der Entscheidung, diesen Abend so auf den Spielplan zu nehmen. Großer Beifall für sie und das Ensemble.

Christian Schütte

 








Fotos: Klaus Lefebvre