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Fakten zur Aufführung 

DER ROSENKAVALIER
(Richard Strauss)
25. September 2007

Staatsoper Hamburg


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Ach, noch ein Foto, bitte!

Lesart von der Marschallin aus! Nicht nur ihre Schulterspitze und ihre schöne Hand, sondern aufrecht lehnend ist sie bereits gänzlich zu dem postkoitalen Glücksthema im Bett zu sehen, während Octavian noch allerseligst herumdöst. Klar, nach der Nacht auf einem exzessiven Maskenball. Dieser jugendliche Adelsspross, immerhin Graf, verlässt jedoch leider in der Hamburger Inszenierung das Diminutiv nie. Und ist kaum mal ein Liebhaber auf Augenhöhe. Das sorgt dafür, dass man diese tragikkomische Geschichte um einen Verlust („Ja, Ja“), den Marie Theres an ihm erfährt, nicht recht begreift. Bei Marco Marelli wirkt es so, als sei die Marschallin sozusagen Frau genug, und im Grunde sei das, was da kommen wird, ihre Entscheidung und nicht ihre Vorsehung.

Die im „Rosenkavalier“ thematisierte Zeiteinsicht der Frau - und der wollte man sich in Hamburg besonders widmen - nimmt in der Tat ein Großteil der Philosophie des 20. Jahrhunderts – Bergson, Heidegger, Camus und Beauvoir – vorweg. Das darauf entwickelte bewegliche, sich im ersten Akt oval, im zweiten rechteckig im dritten zersprungen spiegelnde Bühnenbild erzeugt eine fotografische Stimmung mit gebrochenen Bildern, fällt aber hinter die Zeitphilosophie des Stücks hoffnungslos zurück. Denn die ist nicht allein die empirische Zeit oder das Hiesige: mal läuft die Zeit, mal bleibt sie stehen. Sondern es geht um die Suche nach einer verlorenen Heiligkeit, wozu die Zeitüberlegungen nichts weiter als Schlüssel sind. Und dass Hofmannsthal und Strauss die wiedergefunden haben, kann man fortan allerorten nachlesen oder akustisch vernehmen, vor allem, wenn man bedenkt, was in „Elektra“ noch so alles an real empfundenem Nihilismus abtobt. Worin die Beiden sie wiedergefunden haben, davon berichtet in der Hamburger Inszenierung Melanie Diener. Allein. Ihre Interpretation der Marschallin gehört zu den ganz großen Momenten an der Staatsoper. Im Grunde inszeniert Marelli hier nicht. Er (nein sie: Dagmar Niefind-Marelli) stellt sie in hübsch verschiedenen – erst gelben, dann kurz als „alte Frau“ grau-beige-braunen, dann roten, schließlich violetten – Kleidern hin; den „Rest“ besorgt Dieners Gestik, Mimik und Stimme. Gewiss, man kann mutmaßen, dass sie, wo sie nun diese Partie häufiger singen wird, noch an Wortdeutlichkeit zunimmt, jedoch sind das herrlich dunkelkirschige Timbre ihres Soprans – auch in der Höhe – und ihr vielleicht noch ein wenig mehr an innerer Vibration und Akzentuierung vertragende lyrische Sprechsingen für sich genommen das Erscheinen wert.

Der Rest der Inszenierung ist schnell erzählt: Marelli wagt wenig, schon gar nicht die Arbeit an einer vielleicht gar kugelgestaltigen Zeit (denn die ist ein sonderbar Ding), macht aber auch wenig an dem Stück kaputt. Die das geniale Vorspiel störende Vorspielszene sollte man nachträglich wegstreichen (Der „kleine Neger“ Mohamed alias Delawar Soltan-Ramati sollte pünktlich öffnen). Höhepunkte sind neben den Marschallinenszenen, die Übergabe der Rose sowie die durch die grandiose Ensemblestärke der Staatsoper belebten Figuren wie Valzacchi oder Jungfer Marianne Leitmetzerin – bewusst tauglich für die Busanreise aus den Landkreisen Uelzen oder Dithmarschen gehalten, ist die Ochskomödie und symbolarm, wenn nicht arg ideenlos mit Allee und Bänkchen, das Schlussterzett.

Wenn man eine Inszenierung aus Helsinki und Graz importiert, sagt man als Intendantin unweigerlich etwas darüber aus, wo man sich in Europa künstlerisch so einsortiert. Und vielleicht ist das auch realistisch. Indessen spricht aber der Wille von Simone Young am Pult eine deutlich andere Sprache. Es gibt überhaupt kein Motiv oder Thema im Hamburger Rosenkavalier vom ersten (übrigens weiblich) interpretierten Hornmotiv bis zu der Stelle, die Strauss gegenüber Böhm („Schaun’s Böhmerl“) seine schönsten zwanzig Minuten genannt hat, welches nicht plastisch herauspräpariert ist und sei es der hinterletzte Lerchenaukalauer. Diese Walzerose begegnet unter Young wie ein unendlicher Tanz. Ein wenig ist dieser formwillenbestimmte, latent brucknerhafte, man muss wohl sagen virile Zugriff auf die musikalische Faktur gleichsam auch das Problem. Besonders im ersten Aktschluss geht Young (und natürlich die gut 100 Musiker und Musikerinnen) bis an die dynamischen Möglichkeitsgrenzen und nimmt etliche verschenkte Pianowirkungen der Sängerinnen in Kauf zu Gunsten des symphonischen Flusses, was zugegebenermaßen eine neue Durchhörbarkeit des Werkes befördert. Ich meine dennoch, man muss hier für Diener, mehr noch für Schaufer rausnehmen. Young setzt staatsopernlike auf klangliche Vollpräsenz und unterschätzt die Wirkung der orchestralen Selbstzurücknahme, welche sie übrigens nach der Überreichung der silbernen Rose im zweiten Akt und zu der Jupiterfanfarik – einer für Peter Rose (Baron Ochs) sonst schwierigen Fortestelle – auch wunderbar einzusetzen versteht. Überhaupt ist das Zusammenspiel zwischen Gesang und Orchester insgesamt noch verbesserungsfähig, nebenbei bemerkt eine Sache, die Young im Repertoire wie die Desdemonabegleitung Alexia Voulgaridous zeigt, ständig leistet. Man spürt einfach, dass Young und Rose und Young und Lee gefühlsmäßig gut aufeinander abgestimmt sind, während sich Diener und Young und Schaufer erst noch besser finden müssen, um eine optimale Durchmischung des instrumentalen Klangkörpers mit dem vokalen zu erreichen. Übrigens ist es in dieser Hinsicht erstaunlich, dass eine derart auf Auslegung setzende Klangexperimentiererin und jemand, der es wagt, Lucy Schaufer als Octavian aufzustellen (und damit nicht baden geht) so viel offenkundiges Ressentiment vor Theaterexperimentierern wie Peter Konwitschny hat. Welcher Hamburger Reeperbahngänger ist denn mit diesem Ochstheater zu beeindrucken? Dagegen jede Wette, dass eine Carson-Salzburg-Lesart den Hamburgern gefallen hätt’, auch und gerade wenn sie sich beschwerten.

Sängerisch beeindruckt in der dritten Vorstellung vor allem Ha Young Lee als Sophie. Ihre wunderbaren Wohlklang verbreitende Mittellage, das wahrhaftige Gefälle in den Worten „demütigen“, „Sünde“ oder ihr nun im Unterschied zu den Premieren gekonnter Messa di Voce-Einsatz in der Höhe, um den Himmel von Innen her feinzuzeichnen. Aber immer wieder trübt all das ihr Hauptproblem, das szenische Spiel, das gegenüber Ensemblemitgliedern wie dem gewitzten, feinsäuberlichst artikulierenden Jürgen Sacher (Valzacchi) oder der herrlichen Edeljungfer Leitmetzerin Gabriele Rossmanith nie über ein Behelfsmäßiges hinauskommt, und dass, obgleich man erkennt, wie Lee gerade daran gefeilt hat, um eben aus dem „Dutzendmädchen“ Sophie kein Dutzend mal Dutzend-Mädchen werden zu lassen: Dass sie den Duft wirklich spürt, nimmt man ihr nicht ab; dass sie weiß, aus welcher inneren Überlegung sie die Phrase „Ich bin euer Liebden in aller Ewigkeit verbunden“ mit Nachdruck wiederholt, erkennt man nicht; dass es sie stört, wie sie der Ochs berührt, merkt man ihrem Körper nicht an. Lee muss bei diesen stimmlichen Qualitäten endlich darstellerisch wachgeküsst werden. Kann man da nicht mal ein zwei Wochen Intensivkurs mit Harry Kupfer bezahlen?

Etwas überstrapaziert ist das Spiel von Lucy Schaufer: Schade für ihr deklamatorisch exzellent gezeichnetes Portrait, dass man den Octavian allzu kindlich angelegt hat. Gegen das Orchesterforte hat sie natürlich Probleme, sonst aber böte ihr Octavian für eine Genderlesart des Werks wunderbare Voraussetzungen. Das „Nein, Nein“ muss sie nicht überreizen. Es ist lustig genug. Peter Rose überzeugt als Baron, nicht durch sein Volumen, auch nicht durch seine Schwärze, sondern durch seine Spielqualität und seinen niederösterreichisch getroffenen Konversationston. Vorher unvermutet, aber er ist hier noch weitaus gewiefter als als Bösewicht Claggart. Wenn er von Oben mit seiner Stimme „herunterscrollt“ wie einmal bei „Euer Gnaden“ erreicht sein Bass, der, wenn ich es recht mitbekommen habe, nichts von böhmischen Erntemädels singen soll, eine stellenweise einnehmend singuläre Tonschönheit. Beherzt und gewohnt zuverlässig, wie überhaupt das Ensemble, ist der Faninal von Jan Buchwald, der das absolut Irre dieses Neureichen nicht überbetont.

Die musikalische Inszenierung des Werks überbietet, wie gewohnt, die theatralische haushoch und die Generalmusikdirektorin schlägt die Generalintendantin mit sauberem 4:1.

Wolfgang Hoops