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Fakten zur Aufführung 

LES INDES GALANTES
(Jean-Philippe Rameau)
27. Juni 2010

Internationales Opernstudio
Hamburgische Staatsoper


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Der Reiz des Exotischen

Aller Wiederbelebung durch die „historische Aufführungspraxis“ zum Trotz: Die französische Barockoper hat bei uns einen schweren Stand. Kein Virtuosenfeuerwerk, keine großen Arien wie bei der italienischen Schwester, die auch heute noch mühelos begeistern kann. Stattdessen ein Deklamationsstil, der so eng mit der französischen Sprache verbunden ist, dass Übersetzungen kaum einen Sinn ergäben. Umso lobenswerter und gleichzeitig mutig, dass das Internationale Opernstudio Hamburg sich nicht nur überhaupt an ein Werk Jean-Philippe Rameaus heranwagt, sondern mit Les Indes galantes gleich eine jener Opéra ballets auswählt, die schon von der Form her kaum etwas mit den üblichen Ansprüchen an eine Oper zu tun hat.

Die Handlung? Zu Hause macht sich der Kriegsgott breit, weshalb Amor sich genötigt sieht, auf Reisen zu gehen und in möglichst weiter Ferne (Türkei, Peru, Persien) seine Pfeile zu verschießen. Diesem Prolog folgen entsprechend drei Episoden, die nichts miteinander zu tun haben, außer dem Reiz des Exotischen und dem Handlungsfaden in Form von Liebespaaren, die vom Schicksal auseinandergerissen werden und sich am Ende wiederfinden. Das alles verläuft so banal und offensichtlich, dass kein Fernsehdrehbuchautor damit durchkäme. Und die Musik? Eben jene schwer zugängliche französische Barockmusik, und als Besonderheit der Opéra ballet mit einem hohen Anteil an Ballettmusik. Wie bringt man so etwas einem heutigen (nicht französisch-sprachigen) Publikum näher? Die Inszenierung von Anja Krietsch verzichtet auf kritische Ansätze über politische Korrektheit und macht aus dem Stück das, was es auch zu seiner Zeit war: Unterhaltung im besten Sinn, ohne großen inhaltlichen Tiefgang, aber mit viel Witz. Das Bühnenbild (Aida Guardia) ist eine wüstenartige Fantasielandschaft in sattem Rot-Orange-Gelb, passend für alle Gegenden, in die die Geschichte führt. Neben den Klischeekostümen, mit denen Türken, Inka und Perser bis heute sofort identifiziert werden, sorgen vor allem einige anachronistische Zutaten für Heiterkeit: Das Imitat einer großen Wasserrutsche oder etwa ein Lastenfahrrad für Amor samt Gefolge. Daneben ist es vor allem die bescheidene Ausstattung, die diese Inszenierung so charmant daherkommen lässt. Natürlich kann man ein Beinahe-Ertrinken sehr theatralisch und mit viel Technik darstellen. Aber es geht auch anders. Da man den Protagonisten schon durch das Libretto die ganz großen Gefühle sowieso nicht abnimmt, reichen kleine Gesten vollkommen aus. Ein ausgestreckter Arm, ein zugeworfener viel zu kleiner Rettungsring: fertig ist die nun ins Komische verwandelte Seenotrettung.

Die Sänger fügen sich absolut überzeugend in ihre meist zwei Rollen ein. Vida Mikneviciute singt als Göttin der Jugend im Prolog mit etwas kräftigem Vibrato, überzeugt dann aber umso mehr im zweiten Bild als Phani. Ryszard Kalus gibt einen verführerischen Kriegsgott, unterstützt von großartigem Paukenfeuer, bevor er als eifersüchtiger Inkapriester einen Vulkanausbruch auslöst und schließlich selbst darin untergeht. Dong-Hwan Lee spielt den stimmgewaltigen, aber doch feinfühligen Osmin. Dovlet Nurgeldiyev, der schon als schiffbrüchiger Valère einen Glanzpunkt setzt, gibt als Frau verkleidet auch stimmlich eine wunderbare Travestie. Sinnlich und selbstbewusst zugleich erscheinen Katerina Tretyakova als L’Amour und Fatime sowie Maria Markina als Émilie und Zaire. Gar nicht herrisch, sondern mit lyrischem Glanz präsentiert Ziad Nehme den spanischen Eroberer Don Carlos.

Etwas gewöhnungsbedürftig ist der Umgang mit den Ballettsequenzen. Der in Barockkostümen und weiß gepudert auftretenden Chor wagt ein paar steife Menuettschritte (Choreografie: Maike Ipsen), bevor er von einer Ebene über der Bühne vor allem gepflegte Langeweile ausstrahlt, vom Fächerwedeln bis zur Rückenmassage, Beispiel für eine Gesellschaft, die sich selbst gefällt und sich in erster Linie mit sich selbst beschäftigt Doch davon abgesehen wird nicht getanzt. Die hier gekürzten Ballettmusiken werden stattdessen pantomimisch umgesetzt, meist von Amor und Gefolge. Dagmar Meyer-Sihn spielt ihre Rolle intensiv und überzeugend, kann aber nicht ganz verhindern, dass es dabei zu der einen oder anderen Länge kommt.

Amors Gefolge wird von Kindern dargestellt, die immer wieder ins Geschehen eingreifen. Im Prinzip keine schlechte Idee. Doch muss man Fünf- bis Zehnjährigen wirklich eine dauerhafte Bühnenpräsenz von rund zwei Stunden zumuten? Denn so lange sind sie zu sehen, wenn auch zwischendurch nur am Rand sitzend. Hier wäre weniger mehr gewesen und hätte der zum Teil deutlich sichtbar nachlassenden Konzentration der jungen Darsteller gut getan.

Davon abgesehen ist Anja Krietsch eine fantasievolle Umsetzung gelungen, deren Vitalität nicht zuletzt von den hervorragend aufspielenden Mitgliedern der Philharmoniker Hamburg herrührt. Auf Minimalbesetzung mit solistischen Streichern reduziert ist es schon erstaunlich, wie viel musikalisches Feuer von diesen gerade einmal 14 Musikern ausgeht, von Dirigent Alexander Soddy bestens auf den doch etwas gewöhnungsbedürftigen Stil vorbereitet. Allenfalls die Naturgewalten wie der Meeressturm und der Vulkanausbruch hätten etwas mehr Klangfülle vertragen.

Dass diese ganze Produktion sehr gut ankommt, zeigen nicht zuletzt sechs schon länger ausverkaufte Vorstellungen.

Nicolas Furchert










Fotos: Rosa Frank