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Fakten zur Aufführung 

DIALOGUES DES CARMELITES
(Francis Poulenc)
25. November 2005
(Premiere: 26.1.03)

Hamburgische Staatsoper

Points of Honor                      

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Die Bühne spricht ihr Gebet: wer hören kann, der weine.

Im Schlussbild dieser außergewöhnlichen Inszenierung von Nikolaus Lehnhoff sind die dreizehn Karmeliterinnen ganz in der Welt angekommen, bei dem, was die Welt und ihr Gericht ihnen gibt: Haare wie einkonzentrierte Menschen und schmutzig-abgefleckte Hemdkleidung. So nehmen sie ohne jegliche Hilfe, ohne Buch oder Symbol ihren letzten Weg auf sich, den Kreuzweg. Mit dem einzig Verbliebenen, ihrer Stimme, singen sie händebetend das Salve Regina, Lob auf die Mutter Gottes, Maria. Erst stumm, weil sie es kaum fassen können, dass die (nicht zu sehen und hörenden) Menschen ihr letztes Erhabenes – betende, barfüssige Nonnen – tatsächlich abtöten. Dann, als ihnen die Mutter, ihre Priorin, durchs Schafott genommen ist, im aufbrechenden Fortissimo, so dass man für einen Augenblick in die akustische Illusion hineingezogen wird, die himmlischen Heerscharen stimmten hier selbst mit ein. Doch immer weiter dezimiert das Fallbeil ihre Lebensbahnen und ihre Stimmen, verwandelt Licht in Dunkelheit, bis das letzte Licht vergeht, Blanche.

Diese junge Frau feiert ihren Sieg in der größten Niederlage, denn sie hat das erste Mal im Leben keine Angst, ist sich das erste Mal gewiss, das erste Mal wirklich gläubig. Denn eigentlich fühlt sich die aufgeklärt aufgewachsene Frau mit dem Ganzen nicht so sicher. Ihr Wesen ist Zweifel, ihr Grundgefühl Angst. Deshalb geht sie ins Kloster, Ort der Besinnung. Und tauscht ihren Namen, von de la Force zu Sœur Blanche de l’Agonie du Christ. Also von Kraft zur Angstlähmung, ihrer zweiten Natur. Zur Erinnerung: Im Garten Gethsemane fleht Jesus Gott im Gebet, diesen Kelch, die Passion, an ihm vorüberziehen zu lassen. Blanche erkennt in dieser Erfahrung ihr grundsätzliches Weltgefühl, ist darin Existenzialistin. Sie fühlt sich im falschen Leben, weiß nicht, was das Richtige sein soll, erkennt dies erst negativ durch die Todesaugen der Priorin und vor dem Schafott positiv in der körperlosen Liebe Constanzes, ihrer Mitschwester. Blanches Lebenswahrheit liegt schließlich in der Gleichzeitigkeit zweier Wirklichkeiten: Gebet und Gesang als letzte ehrliche Haltungen zur Welt, das Martyrium als notwendige Absage von dieser. Transzendentale Erhabenheit zeitigt sich im Annehmen des Nichthinnehmbaren. Dem Mord.

Die idealtypische Verkörperung der Blanche Gabriele Rossmanith musste unterdes absagen und wurde von Anne-Sophie Schmidt aus Frankreich gesanglich mustergültig vertreten. Mit ihrem satten, freifließenden Sopran vermochte es, die stimmreifere Schmidt diese Partie diffizilst auszugestalten, allein den grundierten Schwebezustand dieser Figur konnte sie so unvermittelt nicht ersetzen. Wunderbare Sängerinnen hat die Staatsoper mit Katja Pieweck als füllstrenge-kernige Mère Marie, mit Inga Kalna als liebenswürdig-aussprießende Sœur Constance und Kathryn Harries als existenziell-getroffene Madame de Croissy (erste Priorin) aufzubieten. Neu am Haus und als Madame Lidoine (zweite Priorin) bewegt sich Miriam Gordon-Stewart im Crespinschuh sehr achtbar. Mit Würde, aufrechtem Gang und ein wenig anglikanischer Reinheit kann sie der bürgerlichen Madame (nicht ganz Rollen-d’accord, aber bühnenwahr) etwas dezent Aristokratisches eingeben, gesanglich überzeugt sie mit nunmehr deutlichen Höhenakzenten, insgesamt mit schönem Vortrag.

Am Pult ist Michel Plasson sehr bemüht um diese neoklassizistische Anti-Wagner-Partitur: mal etwas zügig, wie vor dem zweiten Bild, was manchen Bläser überfordert, mal ohne die letzte Präzision im Einsatz, und auch mal ohne die nötige innere Differenzierung. Plasson kann aber, anders als Lehnhoff, beispielsweise das Belebende, das Witzig-Beschwingte deutlich herauskitzeln, auch die kleinen Mätzchen von Poulenc. Allerdings nie ziellos, sondern mit dem Sinn für das Ganze, das in dem Weinen um diese von Tilman Michael so wundervoll einstudierten und mit deutlichem Applaus bedachten Hamburger Karmeliterinnen besteht, ihr orchestrales Zentrum bildet. (wh)


Foto: © Brinkhoff/Mögenburg