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Fakten zur Aufführung 

DIALOGUES DES CARMELITES
(Francis Poulenc)
17. März 2009
(Premiere: 26. Januar 2003)

Hamburgische Staatsoper


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Der Gang zum Schafott

Sie ist alles andere als ein Manifest der Avantgarde. Man könnte sie auch als rückständig bezeichnen. Denn was Francis Poulenc 1957 in seinem Dialog der Karmeliterinnen etwa an Harmoniefolgen anbietet, wäre auch schon 100 Jahre früher kaum in den Verdacht geraten, fortschrittlich oder gar modern zu sein. Selbst vor schlichten Quartvorhalten mit lehrbuchmäßiger Auflösung schreckt er nicht zurück. Und auch sonst lockt der Franzose, der in den 1920er-Jahren zur antiromantischen und antiwagnerianischen „Groupe des Six“ gezählt wird, den Zuhörer in dieser Oper nicht gerade mit werbewirksamen Zutaten. Fast keine Mehrstimmigkeit, fast keine Massenszenen. Zwar sind meist zwei aktive Personen auf der Bühne, doch die wechseln sich beim Singen brav ab. Duett? Fehlanzeige. Und das ist noch nicht alles. Wer den Inhalt um die Adelstochter Blanche, die zur Zeit der Französischen Revolution ins Kloster geht, auch nur ansatzweise kennt, kann erahnen, welches für die meisten Opern entscheidende Handlungselement nicht vorkommt: eine Liebesgeschichte. Denn die wichtigsten Männerfiguren sind Blanches Vater, ihr Bruder und der Beichtvater des Klosters.

Eine operngeschichtliche Kuriosität also, ein Fall für die Mottenkiste? Keineswegs, wie die nun schon in der siebten Spielzeit an der Hamburgischen Staatsoper aufgeführte Inszenierung von Nikolaus Lehnhoff zeigt.

Er trägt, neben der großartigen musikalischen Leistung durch die Philharmoniker Hamburg unter Leitung von Chefdirigentin Simone Young, die Hauptverantwortung für den Erfolg, der 2008 durch eine Direktübertragung im Fernsehsender 3sat bestätigt wurde.

Da ist zunächst das spartanische Bühnenbild von Raimund Bauer, das mit wenigen Gegenständen die Bibliothek von Blanches Vater, den Kerker oder die Innenräume des Karmeliterinnenklosters entstehen lässt. Wichtigster Bestandteil aber sind die Wände rundherum, die zunächst den Eindruck einer hell- und dunkelgrau gestreiften Tapete machen, deren breiteren „Streifen“ sich aber als Rollos entpuppen, die hochgefahren werden können und damit zahlreiche Möglichkeiten für Türen oder Durchgänge schaffen. Dann ist da die Beleuchtung (Olaf Freese), die mit wenigen Tönungen analog zu Poulencs Musik die Atmosphäre für die 16 Bilder schafft.

Auf dieser Grundlage steht die Figurenführung Lehnhoffs. So großartig etwa der Todeskampf der alten Priorin (Julia Juon) oder der winzige Auftritt des Dieners Thierry (Rainer Böddeker) gelungen sind, besteht die eigentliche Herausforderung bei den zahlreichen Nebenrollen, die zwar gerade auf der Bühne stehen, aber nicht aktiv sind. Sie trotz ihrer Passivität so ins Geschehen zu integrieren, dass sie weder gelangweilt noch überflüssig wirken, ist hier vorbildlich gelungen.

Poulenc, der das Libretto nach dem gleichnamigen Schauspiel von Georges Bernanos selbst verfasst hat, führt die Handlung am Ende unerbittlich zu jenem Teil, der die negativen Seiten vieler Umstürze beleuchtet, deren Folgen sich verselbstständigen und die schließlich deutlich über das Ziel hinausschießen. Nach dem historisch verbürgten Beschluss durch den Revolutionsrat, das Kloster zu schließen, sollen die Nonnen wegen „konterrevolutionärer Aktivitäten“ hingerichtet werden. Hier schreiten Oper wie Inszenierung auf den Höhepunkt zu. Der schleppend langsame Gang Richtung Schafott, der an den expressionistischen Film erinnert, und die folgende sukzessive Hinrichtung der Nonnen lässt sich kaum eindringlicher darstellen.

Poulencs Musik, die ebenso auf den einst verachteten Richard Wagner wie auf den Urahn der französischen Oper, Jean-Philippe Rameau zurückgeht, ist vor allem in der ersten Hälfte schlicht und schnörkellos und verzichtet weitgehend auf grelle Effekte. Das kommt allen Sängern zugute, die von wenigen Passagen abgesehen keine Mühe haben, sich durchzusetzen, allen voran die großartige Gabriele Rossmanith als Blanche. Wolfgang Schöne gibt einen ebenso altersweisen wie stets textverständlichen Vater, während Dovlet Nurgeldiyev als Blanches Bruder mit seinem geschmeidigen Tenor glänzt.

Die Frauenrollen stehen ihnen nicht nach. Egal ob Katja Pieweck als Mutter Marie, Danielle Halbwachs als neue Priorin oder die fast übermütig heitere Trine W. Lund als Schwester Constanze: Sie alle sind schauspielerisch wie stimmlich bestens präsent.

Einen großen Anteil daran hat auch Dirigentin Simone Young, die die Sänger sicher führt, ohne zum Ende hin die aufkommende Dramatik zu vernachlässigen. Die Philharmoniker Hamburg folgen ihr mit ebenso großer Präzision wie Leidenschaft, lassen die Klänge insbesondere in den vielfach solistisch geforderten Holzbläsern leuchten.

Nicolas Furchert

 


 
Fotos: © Brinkhoff/Mögenburg