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Fakten zur Aufführung 

ANDREA CHÉNIER
(Umberto Giordano)
7. Februar 2010 (Premiere)

Hamburgische Staatsoper

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Luxuriös besetzt

Gustav Mahler, dessen 150. Geburtstag in diesem Jahr Anlass zu vielerlei Erinnerungen sein wird, dirigierte 1897 die Erstaufführung des André Chénier in Hamburg, er war zu dieser Zeit musikalischer Chef des Hauses. Zwei szenische Neuproduktionen hat es seitdem am Haus gegeben, die letzte 1954. Anlass genug, sich dem Werk wieder einmal anzunehmen, um das es in den letzten Jahren zumal an den großen Opernbühnen etwas stiller geworden ist. Hamburgs Intendantin und Chefdirigentin Simone Young entschied sich für eine konzertante Premiere. Mangelnde stilistische Bandbreite und zurückhaltende Präsenz am eigenen Haus lassen sich Simone Young wahrlich nicht vorwerfen – umso erstaunlicher ist die Polarisierung, die sie bei ihrem Publikum auslöst, schon nach der Pause wurde sie mit einer aufgeheizten Mischung aus Buhs und Bravos empfangen. Musikalisch war jede Form massiver Ablehnung für diesen Abend nicht nachvollziehbar, es ist indes nichts Neues, dass die Intendantin Simone Young stärker im Kreuzfeuer der Kritik steht als die Dirigentin. Sollte das der tatsächliche Grund für die Buh-Front gewesen sein, so bleibt dem Hamburger Publikum etwas mehr Differenzierungsvermögen zu wünschen, wann sie ihrem Unmut freien Lauf lassen.

Trotz der konzertanten Aufführung saß das Philharmonische Staatsorchester im Graben, auf der Bühne agierten die Solisten ohne störende Notenpulte vor einem als Vorhang aufgehängten Teppich, der immer dann hochgezogen wurde, wenn der dahinter sitzende Chor zum Einsatz kam. Die Solisten bekam auf diese Weise die Möglichkeit, dezente szenische und gestische Andeutungen einfließen zu lassen, was dem Abend mehr Spannung verlieh, als es sonst allzu oft bei konzertanten Aufführungen in der üblichen Konzertaufstellung der Fall ist. Und dank der außerordentlich starken und bühnenpräsenten Sänger der Hauptpartien geriet darüber für den einen oder anderen Moment sogar ein wenig in Vergessenheit, dass es eben keine szenische Umsetzung gab.

Fast ausschließlich Rollendebütanten hatte Simone Young für die Produktion verpflichtet. Unter ihnen muss Franz Grundheber als Gérard an erster Stelle genannt werden. Die wenigen, verschwindenden Momente zu benennen, in denen es hörbar ist, dass der 72-jährige auf mehr als 40 Jahre Karriere zurückblicken kann und nicht mehr über ein vollkommen unverbrauchtes Organ verfügt, wäre nur eine erzwungene Suche nach Abstrichen. Vielmehr verblüfft Grundheber auch in diesem späten Rollendebüt durch die Klarheit seiner Tongebung, vorbildliche Artikulation und absolut stilsichere und ökonomische Stimmführung. Es bleibt zu hoffen, dass er diese Partie auch noch einmal in einer szenischen Produktion erarbeiten kann.

Ebenso bewundernswert gelang Johan Bothas erste Gestaltung der Titelpartie. Sein Tenor scheint über schier unausschöpfliche Reserven an Klangschönheit, Volumen und Kondition zu verfügen. Mit diesen stimmlichen Mitteln gestaltet er einen ungemein packenden, emotional aufgeladenen André Chénier, der besonders in der oberen Lage der Partie bezwingende vokale Präsenz zeigt.

Norma Fantini hatte die Maddalena bereits in ihrem Repertoire und fügt sich mit einer nicht minder intensiven Rollengestaltung nahtlos in die Aufführung ein. Ihr Sopran verfügt in den exponierten Passagen durchaus über eine gewisse Schärfe, die hier der Rollengestaltung nur entgegenkommt. Im Piano vermag sie sich mit makellos atemgestützten Phrasen schwebend auf den Klang des Orchesters zu legen, kann sich über weite Phrasen hinweg in ein tragfähiges mezzavoce zurücknehmen – eine Sängerin von außergewöhnlichem Format.

Die kleineren Partien sind nicht minder luxuriös besetzt, stellvertretend seien Ann-Beth Solvang als Bersi, Deborah Humble als Madelon, Cristina Damian als Gräfin und Brian Davis als Roucher genannt.

Simone Young betont mit dem gut disponierten Philharmonischen Staatsorchester gleichermaßen die aufblühenden und die harten, schroffen Seiten dieser emotional hochaufgeladenen Partitur, setzt dynamisch immer wieder kräftige Akzente – bringt damit aber weder die Solisten noch den von Florian Czismadia gut vorbereiteten Staatsopernchor in Verlegenheit – und stellt so in den Vordergrund, dass dieses Stück durchaus auch von einer gewissen inneren Nervosität angetrieben ist.

Die Buh-Salven gegen Simone Young wurden beim Schlussapplaus von engagierten Bravo-Rufern zu unterdrücken versucht, Ensemble, Chor und Orchester abseits davon mit lautstarkem Jubel gefeiert. Musikalisch sind an diesem Abend genug Kräfte freigesetzt worden, die eine szenische Neuproduktion des Stücks dringend empfehlen.

Christian Schütte