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Fakten zur Aufführung 

SATYRICON
(Bruno Maderna)
23. Oktober 2009 (Premiere)

Hochschule für Musik und Theater Hamburg


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Aktionsverweigerung

Opernszenen, in denen inhaltlich nichts passiert, werden oft durch großartige Musik überbrückt. Alexander Fahimas Inszenierung von Bruno Madernas Oper Satyricon (1973) treibt dieses Innehalten auf die Spitze. Etwa in der Mitte dieser teils turbulenten Aufführung gibt es etliche Minuten Stillstand. Fünf Menschen - zwei Frauen und drei Männer, alle im „besten Alter“ zwischen 20 und 40 - sitzen an einem Tisch. Doch wo sonst rege Unterhaltung stattfindet oder sogar knisternde Erotik zu spüren ist, ergehen sich alle Protagonisten in Gesten der Langeweile bzw. der Verlegenheit. Da wird das Haar zurückgeschoben, am Glas genippt, Wasser nachgeschenkt, die Beine übereinander geschlagen. Kein Dialog - und auch keine Musik. Ja, das „Nichts tun“ überträgt sich sogar auf die Orchestermusiker. Irgendwann wird es dem Publikum zu bunt, vereinzelte Zwischenrufe, verzagter Applaus, als säße man in einer Happeningveranstaltung in den 1960er-Jahren. Paradoxerweise ist diese Aktionsverweigerung der Höhepunkt der Oper. Ob die Publikumsreaktionen gewollt sind oder ein Zeitsignal schließlich zum Einlenken führt? Man erfährt es nicht.
Fast zwei Stunden nimmt Fahima sich für Madernas Einakter Zeit, der auf einem nur bruchstückhaft überlieferten satirischen Roman des Nero-Zeitgenossen Petronius beruht. Die Oper besteht aus einzelnen, nicht zusammenhängenden Szenen und collageartiger Musik, eine fortlaufende Handlung gibt es nicht.
Allein ums Verstehen kann es schon Maderna nicht gegangen sein. Dagegen spricht schon die Anzahl der verwendeten Sprachen: Deutsch, Englisch, Italienisch, Französisch, etwas Latein. Ergänzt wird das Libretto hier mit Texten des Hamburger Autors Falk Richter. Tenor ist die Einsamkeit des heutigen Menschen in einer Welt, in der Werte und Zusammenhalt verloren zu gehen scheinen, die Unfähigkeit zu zwischenmenschlicher Nähe und die Angst, etwas zu verpassen, Außenseiter zu sein. Dargestellt wird dies hauptsächlich am rastlosen Leben gestresster Manager, die sich nur kurz am hoteleigenen Pornokanal eine Auszeit von Terminen und Geschäften nehmen.
Die Bühne (Daniel Wollenzin) enthält einen länglichen Tisch mit Stühlen sowie viel Freiraum, übersät mit Papierblättern. Rechts befindet sich eine Art Nasszelle, links die Orchestermusiker, deren Position allerdings zum Teil so weit in die Bühne hineinragt, dass sie manchen Zuschauern erheblich die Sicht versperren.
Die nur lose aneinander gereihten Opernszenen kann man einschließlich des fließenden Übergangs von Madernas Libretto in Richters Ergänzungen entweder einfach auf sich wirken lassen oder als intellektuelles Ratespiel betrachten. Die Anforderungen sind dabei in Szene wie Musik unterschiedlich hoch: Zitate aus Aida, Carmen oder Wagners Ring sind klar zu erkennen, andere wie jenes aus der Lustigen Witwe schon mehr getarnt. Schwerer verständlich sind da die trotz sehr guter Aussprache teils komplett englischsprachigen Szenen (ohne Übertitel). Recht anspruchsvoll kommt auch das Programmheft daher. Die meisten Texte ergänzen das Bühnengeschehen, erläutern jedoch keine Zusammenhänge. Wer gehofft hat, hier etwas über die Librettovorlage, Petronius selbst oder über Ko-Autor Falk Richter zu erfahren, wird enttäuscht. Eine vertane Chance, mehr über Satyricon zu vermitteln, ein Werk, das in den meisten Opernführern allenfalls namentlich erwähnt wird.
Manche Szene ist unglaublich gut gelungen, anderes zieht sich in die Länge, wie zu Beginn die über zehnminütige Discoszene (inklusive entsprechender Beschallung).
Die fünf Hauptdarsteller Markus Richter, Andreas Preuß, Till Bleckwedel, Jana Fischer Gerusal und Lenka Möbius leisten Großartiges, wobei die darstellerische Leistung die sängerische noch übersteigt. Ebenso sehens- und hörenswert sind die Mitglieder des hervorragend einstudierten Ensembles 21, die von Dirigent Francesco Bossaglia souverän und ohne Schnickschnack durch die verschiedenen Stile der Partitur geleitet werden.
Dieser Hamburger Satyricon ist ein höchst ambitioniertes Opernprojekt, keine Frage. Das zeigt schon der Ernst und die Überzeugungskraft, mit dem Darsteller und Musiker ans Werk gehen. Regisseur Alexander Fahima freilich läuft gelegentlich Gefahr, sich ins Intellektuelle zu versteigern und sein Publikum abzuhängen. Das ist schade, gerade wenn es um die zeitgenössische Oper geht, die ohnehin einen schweren Stand zwischen all den Verdi-, Wagner- und Mozartaufführungen hat.
Am Ende der Premiere gibt es lang anhaltenden Beifall für alle Beteiligten - sicher auch für den Mut der Hamburger Hochschule für Musik und Theater, dieses selten gespielte Werk als Diplominszenierung der Theaterakademie Hamburg auf die Bühne zu bringen.

Nicolas Furchert

 






 
Fotos: Axel Schmies