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Fakten zur Aufführung 

DER KAISER VON ATLANTIS
(Viktor Ullmann)
7. Dezember 2009
(Premiere: 29. November 2009)

Hochschule für Musik und Theater Hamburg


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Atmosphärische Dichte

Es müssen nicht immer wagnersche Dimensionen sein, um einen eindrucksvollen Opernabend zu erleben. Eine Stunde Spielzeit kann ausreichen, wie bei Viktor Ullmanns Kammeroper Der Kaiser von Atlantis, die zurzeit in der Hamburger „Opera stabile“ gegeben wird. 1943 im Konzentrationslager Theresienstadt entstanden, reflektiert Ullmann nur bedingt seine eigenen Lebensumstände, sondern beschäftigt sich eher allgemein mit totalitären Herrschaftsformen, Krieg und dem Leiden der Betroffenen. Haupthandlung ist die Auseinandersetzung zwischen Kaiser Overall (Ralph Jaarsma), der sich in seinen Palast verkrochen und jeglichen Realitätssinn verloren hat, und dem Tod (Till Schulze), der abdankt, weil die Menschen keinen Respekt mehr vor ihm haben.

Dass diese Diplominszenierung der Hamburger Theaterakademie den Zuschauer sofort in den Bann zieht, ist zum einen der unglaublichen schauspielerischen Präsenz der zum Teil noch jungen Darsteller zu verdanken, eine Leistung, von der sich manch gestandener Bühnenprofi eine Scheibe abschneiden könnte. Da ist keine Geste, kein Gesichtsausdruck dem Zufall überlassen. Hinzu kommt zum anderen die geringe Distanz zum Geschehen. Eine Bühne im klassischen Sinn gibt es nicht. Stattdessen sitzen die 80 Zuschauer verteilt auf einfachen Kisten im Innenraum. Die Sänger und das Orchester agieren auf einem balkonartigen Ring rund um das Publikum, zum Teil weniger als einen Meter entfernt. Das sorgt für eine atmosphärische Dichte, die auf einer normalen Opernbühne gar nicht möglich wäre.

Alle Mitwirkenden verkörpern ihre Rollen auf hohem sängerischen Niveau, insbesondere die beiden Gegenspieler Till Schulze und Ralph Jaarsma. Tadahiro Masujima als Harlekin ergänzt dazu einen strahlenden, aber gänzlich uneitlen Tenor.

Nur Svitlana Slyvia als Trommler läuft manchmal Gefahr, durch ihren voluminösen Sopran die Textverständlichkeit in den Hintergrund zu drängen. Das wird jedoch durch ihre großartige Darstellung aufgewogen, auch wenn sich nicht unbedingt erschließt, warum sie als Peitsche schwingende Domina agiert.

Christian Senger fungiert als „Lautsprecher“, dessen Aufgabe darin besteht, dem Kaiser Nachrichten aus der Außenwelt zu überbringen. Regisseurin Nina Kupczyk hat für ihn einen zusätzlichen Monolog verfasst, der ihn sein schlichtes Funktionieren, sein Opportunistentum erkennen lässt – eine sinnvolle Ergänzung zum Libretto, die seiner Rolle mehr Gewicht gibt und von Senger eindrucksvoll gespielt wird.

Die kurze Episode zwischen dem Soldaten (Mindaugas Jankauskas) und Bubikopf (Katerina Fridland) scheint mehr der Opernkonvention geschuldet als dass sie sich zwingend aus der Handlung ergäbe. Überzeugend gespielt und gesungen ist sie aber allemal. Nina Kupczyk lässt den Soldaten im Anschluss längere Zeit in der Pose eines Gekreuzigten stehen – eine gewollte Erweiterung in Richtung eines biblischen Mysterienspiels. Ob dies notwendig gewesen wäre, sei allerdings dahingestellt.

Wie man eine Nebenrolle mit echtem Leben füllen kann, zeigt die fast dauer-präsente Gruppe „lebender Toter“. Auf dem Hinterkopf eine starre weiße Maske, ansonsten gekleidet wie die Patienten im Klischee einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt (Kostüme: Caroline Dohmen), nutzen sie die Orchester-Intermezzi zu nahezu dämonischen Darstellungen des Wahnsinns, meist direkt zwischen den Zuschauern. Hier hat Choreograf Sven Niemeyer ganze Arbeit geleistet.

Auch die Hamburger Camerata trägt ihren Teil zum Gelingen des Abends bei. Souverän angeleitet von Christoph Rolfes bringen sie Ullmanns zahlreiche Anspielungen vom lutherischen Choral über Mahler und Kurt Weill bis zum verfremdeten Deutschlandlied auf den Punkt.

Von den zwei überlieferten Schlussszenen hat sich die Regisseurin für die Fassung entschieden, in die Läuterung des Kaisers nicht stattfindet. Hier spielt er nur ein Spiel, gibt sich dem Tod scheinbar geschlagen, um ihn dann in drastischer Darstellung eigenhändig zu erwürgen. Eine kluge Wahl, zeigt sich doch bis heute, dass die meisten früheren Diktatoren unfähig sind, eine Schuld einzugestehen. So bleibt Ullmanns Botschaft klar formuliert: Alles Leid ist offenbar immer noch nicht genug gewesen, der nächste Krieg kommt bestimmt…

Nicolas Furchert

 



 Fotos: Hochschule für Musik und Theater Hamburg