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Fakten zur Aufführung 

JOHANNA AUF DEM SCHEITERHAUFEN
(Arthur Honegger)
5. Juli 2008
(Premiere: 4. Juli 2008)

Oper Halle - Theater der Welt


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Fanatismus des Glaubens

Anno 1938, in der bedrängenden Atmosphäre des heraufziehenden Kriegs, finden sich der kritisch-katholische Paul Claudel und der calvinistisch geprägte Arthur Honegger zu einer beklemmend ambivalenten Hommage an die Jeanne d’Arc. Stolz auf die Nation trifft auf religiöse Kontroversen, vermittelt die naive Kraft des Glaubens mit der latenten Gefährdung wahnhafter Fanatisierung, konfrontiert manipulierbares „Volks“-Gefühl mit gnadenloser Inquisition – und zeigt eine Johanna zwischen naiver Gläubigkeit, strahlender Heldin und fanatischer Monomanin. Honeggers Oratorium setzt auf die fundamentale Ausdruckskraft der Musik, übersetzt Claudels vielfach verschlüsselten Text in auf- und abebbende Chöre, fordert ein furioses Groß-Orchester (mit einer Ondes Martenot!) und evoziert die elementare Kraft der Gefühle.

Freo Majer inszeniert im sakral-dominierten Ambiente der Marktkirche Halle ein permanentes Aufeinandertreffen von Volks-Glauben, klerikaler Radikalität und individuellen – außen-gesteuerten, spirituell verabsolutierten – Anmaßungen, lässt die Heiligen Katharina und Margarethe sowie die „Himmelskönigin“ permanent durch die Kirchen-Ebenen wandern, zeigt die Johanna in ihrer unbegriffenen Ambivalenz. Das ist ungemein dramatisch in den Gruppen-Konstellationen -- doch die „Raum“-Gestaltung und Orts-Wahl von Bernd Leistner irritiert: Ein theologisch-politisches Drama in einer der herausragenden Stätten des Protestantismus – das kann keinen Sinn ergeben. In der Marktkirche findet sich Luthers Totenmaske; und nun kann dem Lutherismus vieles in Sachen preußischer Staatskirche vorgeworfen werden – aber die Erfindung der Inquisition als gnadenlos-ideologisierten „Rechtsstaat“, das ist eine Sache des organisierten Katholizismus, die nur ein Ratzinger rabulistisch rechtfertigen kann. Unkenntnis? Belieibigkeit? Betriebsblindheit? Die Wahl des Spielorts ist schlicht peinlich.

Roger Epple dirigiert die Staatskapelle Halle – im Chor platziert, hinter der Spielfläche und der Zuschauer-Tribüne im Mittelschiff – mit differenzierendem Elan, fordert die Instrumentengruppen, sorgt für kommunikative Spannung, integriert die konzentriert artikulierenden Chöre (Einstudierung: Jens Petereit) - hat aber unüberwindliche Probleme mit der hallenden Kirchen-Akustik. Dynamische Effekte bleiben aus, allein die in absoluter Stille endende Johanna-Apotheose vermittelt intensive Wirkung.

Irritierend die akustische Verstärkung der Sprechrollen über fest installierte Lautsprecher – und die konventionell chargierende Attitüde der Sprecher. Auch der hochgerühmten Isabel Hindersin blieb nur – nach differenzierendem Beginn – der Griff in knalliges Pathos. Für die Gesangs-Solisten der Oper Halle blieben einige wenige kaum realisierbare Momente kultiviert-typengerechten Singens.

Das Publikum in der so traditionsreichen Marktkirche folgt bereitwillig dem Geschehen, lässt sich von Musik und Text beeindrucken, vermisst offenbar auch keine Übertitel und dankt mit herzlichem Applaus. Und auf der zweite Stufe im Mittelschiff, links vom Mittelgang, ist eine gnadenlose „Dokumentaristin“ damit beschäftigt, das Bühnen-Geschehen mit zuckenden Blitzen ihrer Digital-Knipse abzulichten - und kein Mensch kann der Rücksichtslosen Einhalt gebieten: symptomatisch für den unbefriedigenden Beitrag der Oper Halle zum Festival „Theater der Welt“ in Halle (das im übrigen 55 000 Zuschauer anzog – und Bestandteil des Kulturhauptstadt-Jahrs 2010 im Ruhrgebiet sein wird). (frs)