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Fakten zur Aufführung 

ORLANDO
(Georg Friedrich Händel)
29. November 2008 (Premiere)

Theater Halberstadt
Nordharzer Städtebundtheater


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Barockoper, grandios

Orlando Furioso, der „rasende Roland“, ein Ritter im Dienste Karls des Großen, zentrale Figur mittelalterlicher Epen, als Roland-Figur rund um Halberstadt vor vielen Kirchen und Rathäusern präsent – voila: der regionale Bezug existiert. Und André Bücker setzt noch einen drauf, verlegt Händels undurchsichtiges quid pro quo in die knallharte Welt der Investoren-Heuschrecken – dezent, soweit das möglich ist, ohne dezidierten Anspruch auf aktuelle Welt-Erklärung, aber – thematisch angemessen – mit unmissverständlichen Verweisen auf die hysterische Immanenz der Herrschenden. Dieser „Überbau“ wird in unterhaltsam-aufklärerisches Bühnenhandeln umgesetzt, präsentiert getriebene Figuren in absurden Konstellationen – lustvoll karikierend, aber nicht diffamierend.

Mit Steve Wächter ist ein renitent-emotionalisierter Orlando zu erleben - ein Altus mit wunderbarem Timbre, ausdrucksvoll in einer ungemein klangschön-variablen Mittellage, enorm nachhaltig in den sicher-unangestrengten Höhen und mit frappierendem Durchhaltevermögen in den außergewöhnlichen sängerischen Anforderungen! Marie Friederike Schöder – ausgezeichnet mit dem Leipziger Bach-Preis – ist eine exzentrisch zickige Angelica, sublimiert ihre parodierende Soubretten-Attitüde durch abrupt-verstörende Stops und immer wieder überraschende Gesten der Zuneigung, Erwartung und Ablehnung. Aber vor allem: Sie singt die barocken Vorgaben mit hinreißendem Ausdruck, beherrscht die kunstvollen Variationen par excellence, scheut nicht die gnadenlosen Anforderungen stimmlicher Modulation, verzaubert in fast gehauchten Piani und leidenschaftlichen Forte-Passagen, ist dabei permanent stimmlich kontrolliert und vermittelt die „Affekte“ mit solcher Intensität, dass Händel wohl davon geträumt hätte! Gijs Nijkamp verleiht dem alleswissenden Zoroastro überlegene Statur, frappiert mit einem sonoren Bariton, dem auch die subtilen Verzierungen ohne Schnörkel vortrefflich gelingen. Kerstin Pettersson gibt eine irritierte Dorinda, stimmlich in den Koloraturen und differenzierten Gefühlswallungen intonationssicher und ausdrucksstark. Gerlind Schröder ist darstellerisch ein(e) geheimnisvoll-werbende(r) Medoro im Stil der Bergschen Gräfin Geschwitz mit überzeugender Adaption des variantenreichen Barock-Gesangs.

Für dieses hochengagierte Sänger-Ensemble baut Imme Kachel ein feudal-ästhimierendes „Büro“ mit voluminösem Schreibtisch und Ruheliege, erweitert die kleine Bühne mit Seitenwänden bis an den Rand des Orchestergrabens, schafft damit Raum für das turbulente Geschehen und zugleich – im Hintergrund – eine Projektionsfläche für zeitkritische Videos und zugleich einen zweiten imaginativen Spielort für Verweise auf die mittelalterlichen „Traum-Darstellungen“.

Johannes Rieger ist mit dem erfrischend selbstbewusst aufspielenden Orchester des Nordharzer Städtebundtheaters der Garant für eine gelingende Händel-Interpretation - und wird stimulierend unterstützt durch die Continuo-Gruppe (Cembalo, Theorbe, Laute, Cello) der Berliner Lautten Compagney mit historischen Instrumenten: eine Kombination, die sich gegenseitig animiert und zu einem authentisch-vitalen Orchesterklang führt – und die Solisten permanent antreibt und zugleich hilfreich unterstützt.

Beim Halberstädter Publikum gibt es offensichtlich Vorbehalte gegenüber einer nicht gerade gängigen Oper: das Haus ist nicht voll besetzt. Doch die Erschienenen sind, je länger die zweieinhalb Stunden faszinierenden dramatisch-musikalischen Theaters dauern, desto mehr enthusiasmiert - standing ovations am Schluss! Vielleicht spricht sich die begeisternde Atmosphäre im Harzvorland herum - aber auf alle Fälle wird das kregle Nordharzer Theater Erfolge bei möglichen „Abstechern“ in der Republik einheimsen. Good luck! (frs)
 






Fotos: Theater Halberstadt