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Fakten zur Aufführung 

TANNHÄUSER
(Richard Wagner)
10. Juni 2007 (Premiere)

Theater Hagen

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Der Glaube als Erlösung

Die Gesellschaft ist hypersexualisiert, repressiv, gnadenlos im Umgang mit Hilflosen, heuchlerisch und kommunikativ verlogen; der Weg zur Erlösung ist der naive Glaube. Rainer Friedemann plädiert in seiner resignativ-hoffnungsfrohen Tannhäuser-Interpretation für die Kraft der Spiritualität – und befindet sich damit im Fokus des gerade zu Ende gehenden Evangelischen Kirchentages. In eher statischen Bildern ist die Wartburg-Society als Spiegelung des orgiastischen Venusbergs zu verstehen. Statt der Venus mit Peitsche agiert Elisabeth an Krücken, wird von ihrem Oheim aggressiv angegangen; der Sänger-Wettstreit ist eine Show der Selbstbestätigung; Tannhäuser als kritischer Zyniker findet Erlösung im schlichten Glauben.

Walter Perdachers Bühne präsentiert plakative Elemente: eine vergoldete Frauen-Skulptur mit geöffneten Schenkeln im Venusberg, eine Harfe auf der Wartburg, eine Madonnen-Statue im Schlussakt. Ein großes Auge mit Tempel-Symbolen als transparenter Vorhang verweist auf göttliche Allgegenwart und eine schräggestellte Drehbühne schafft Räume für gezieltes Bühnenhandeln.

Dabei gerät die Venusberg-Szene zu einer wenig schockierenden Orgie, die Wartburg zu einem spießigen Meeting und Elisabeths Ende zu einem brutalen Schocker: Sie – wie auch die Madonnen-Statue - wird von Schlapphüten beiseite geschafft.

Antony Hermus hat mit dem nur langsam warmlaufenden Philharmonischen Orchester Hagen bei der trockenen Akustik des Hauses Probleme mit den musikalisch-eruptiven Exaltationen des Bacchanals (es wird die Pariser Version gegeben), liefert mit dem Einzug auf die Wartburg eine grandiose Überzeichnung der brutalen Klang-Orgien zu NS-Zeiten, und findet zum Schluss zu sphärischen Klängen. Vor allem mit dem gnadenlos auftrumpfenden schweren Blech gelingen Passagen wehrloser Bedrohung, unterstützend die Massenszene mit hochgereckten Armen und hemmungslos donnernden „Heil!“-Rufen. Erschütternder Weise löst das beim Hagener Publikum begeisterten Applaus aus.

Dario Walendowski ist kein heldentenoral-strahlender Wagner-Sänger, doch vermag er mit sehr viel authentischer Emotion eine Rom-Erzählung zu interpretieren, die die so hochdifferenzierten Empfindungen und Bewusstseinswandlungen nachvollziehbar vermittelt. Dagmar Hesses ausdrucksstark-variable Stimme gibt der Venus aggressive Akzente, verleiht der seelisch zerstörten Elisabeth tragisches Melos. Frank Dolphin Wong ist ein zerrissener Wolfram, sein warm-fließender Bariton strahlt emotionale Betroffenheit aus, das Lied an den Abendstern wird zu einem bewegenden Hymnus an das Metaphysische – doch fehlt seiner Stimme (noch) die selbstbewusste Durchschlagskraft z.B. in den verbalen Auseinandersetzungen mit egozentrischen Tannhäuser. Sich voll engagierende Solisten des Hagener Theaters und ein kraftvoll intonierender Chor vermitteln ein beeindruckendes Gesangs-Erlebnis.

Und das Hagener Publikum feiert seine Protagonisten zurecht mit nicht enden wollendem Applaus – ein wunderbares Zeichen für das Einstehen für ein traditionsreiches Haus, das nach dem Willen der Stadtoberen vor der schleichenden Auflösung steht. Wäre da nur nicht der fatale Beifall an der falschen Stelle! (frs)


Fotos: © Stefan Kühle