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Fakten zur Aufführung 

IL TABARRO
(Giacomo Puccini)
I PAGLIACCI
(Ruggero Leoncavallo)
30. Mai 2009 (Premiere)

Theater Hagen


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Aus Spiel wird Ernst

Zwei Geschichten über Ehefrauen und ihre Männer, die nicht fähig sind, Gefühle zu zeigen, entkommen wollen - und Trost finden in zarten, neuen Liebesbeziehungen. Das Ende ist programmiert tödlich, hier in einem, dort in zwei Fällen.

Hagens Intendant Norbert Hilchenbach zeigt die seltene Kombination von Puccinis Il Tabarro mit Leoncavallos I Pagliacci. Damit beschert er dem von der Schließung bedrohten Haus zum Saisonende einen grandiosen Erfolg.
I Pagliacci spielt auf einem Marktplatz, der begrenzt wird von riesigen Filmplakaten (Bühne: Peer Palmowski). Streifen der Regiegiganten Fellini, Rosselini und Visconti werden da annonciert. Das passt gut zur Commedia dell’Arte, die die fahrende Truppe dort aufführen will und die sich in bitteren Ernst verwandeln wird. Den Chor (Wolfgang Müller-Salow) nutzt Hilchenbach geschickt, um Spannungen auf- und abzubauen. Getragen wird die Oper jedoch vom ungeheuer spielfreudigen Ensemble, das zudem sich gesanglich auf sehr hohem Niveau bewegt. Das beginnt bei Raymond Ayres, der den fordernden Liebhaber Silvio gibt und setzt sich fort bei Richard van Gemert als harmlos naivem Arlecchino. Jennifer Bird verfügt als Nedda über einen feinen Sopran, der vielleicht noch zulegen müsste an der Fähigkeit, Nuancen zu vermitteln. Schauspielerisch die Qualen der geschundenen Frau auszudrücken, das gelingt ihr perfekt. Das gilt aber auch für Bjørn Waag als missgestalteter Tonio, der sich für alle Erniedrigungen rächen will. Mit raumgreifendem Bariton gelingt ihm eine differenzierte Charakterstudie. Die schafft Ricardo Tamura als Canio vor allem im berühmten „Ride, Pagliacco“. Sein stupend sicherer Tenor verfügt über genügend Wendigkeit, alle Gefühle auszudrücken: Stolz, Verzweiflung, Überheblichkeit und Verbitterung - eine Mischung, die für Nedda tödlich enden wird.

Vor der Pause lässt Tamura seinen Tenor in Puccinis Il Tabarro leuchten. Dort singt er den Arbeiter Lucio, der sich in die Frau seines Chefs verliebt. Hilchenbach gelingt hier ein Kammerspiel, das er vor dem Laderaum des Binnenschiffers Michele ansiedelt – eine hochexplosive Menage à trois. Dunkel und bedrückend ist der Raum, in dem Michele und seine Frau Giorgetta wohnen, bedrückender noch und ohne Gefühle seit dem Tod des gemeinsamen Kindes. Da strahlt in Lucio das Licht am Dunkel des Tunnels auf – Hoffnung auf Befreiung.
Und auch hier eine sängerische Glanzleistung nach der anderen: Marilyn Bennett als Frugola überzeugt mit sicherem Mezzo als komödiantisches Element. Aber es sind vor allem Bjørn Waag und Dagmar Hesse als sich sprechend anschweigendes Ehepaar, die für Gänsehaut sorgen: Barsch, polternd und fordernd - seine Unsicherheit verbergend - gibt Waag den Michele. Das ist unheimlich und weist auf das mörderische Ende hin. Dagmar Hesse verkörpert perfekten Puccini-Gesang: Da brodeln Gefühle im Inneren, eine Zeitbombe tickt, sich ab und an in Eruptionen entladend. Ihre Giorgetta ist auf dem gleichen exorbitanten Niveau angesiedelt wie ihre Tosca in der letzten Spielzeit.

Das Philharmonische Orchester Hagen unter GMD Florian Ludwig findet an diesem Abend zu einer tollen Leistung, spürt den Feinheiten der Partituren, dem Zeichnen der Charaktere fein nach und macht auch die musikalischen Unterschiede deutlich spürbar: Während I Pagliacci zum Goutieren einlädt, dringt Puccinis musikalische Ausgestaltung der Figuren tief ein, nehmen mit und berühren.

Das Hagener Publikum spendet dem absolut gelungenen Opern-Doppel riesigen Beifall und feiert alle Beteiligten mit großer Berechtigung mit spontanen Standing Ovations.
Deutlich lag in der Luft, welch’ identitätsstiftendes Moment ein eigenes Theater mit langer Tradition für eine Stadt darstellt – ein Stück Unverwechselbarkeit. Schließt man es oder beschränkt es stark – und das gilt für viele Einrichtungen in allen sozialen und kulturellen Bereichen - wird eine Kommune austauschbarer, anonymer und letztlich überflüssig.

Thomas Hilgemeier











Fotos: Stefan Kühle