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Fakten zur Aufführung 

DER FREISCHÜTZ
(Carl Maria von Weber)
29. Mai 2010 (Premiere)

Theater Hagen


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Romantische Oper ohne Klischee

Fehlten nur noch dicke Nebelschwaden, die zäh über die Bühne wabern, dann wäre die Kulisse für eine Schauergeschichte mit Nervenkitzel, Grusel und lauernden Gefahren so richtig perfekt gewesen. Regisseurin Beverly Blankenship und ihr Ausstatter Peer Palmowski tun nämlich alles, um ihrem Freischütz genau diese Ausstrahlung zu geben, nutzen fahles Licht und vor allem meterhohe schwarze, verschiebbare Lamellen, die quasi als Vorhang dienen, die Schatten werfen und ob ihrer Flexibilität immer neue Situationen und Bilder schaffen (ein großes Lob an die präzise und höchst verantwortungsvolle Arbeit der Kulissenschieber!). In dieser unwirklichen Welt der schlechten Träume erzählt Blankenship eine Dreiecksgeschichte: die vom aufbrausenden Sunnyboy Max, der zum ersten Mal in seinem Leben nicht das zu bekommen scheint, was er will. Und die Geschichte von Caspar - smart und brutal-, der seine große Liebe Agathe schon fast an Max verloren hat. Zwischen beiden steht eben diese Agathe, die den einen nicht loslassen, den anderen vielleicht aber auch nicht wirklich haben will. Es verschwinden alle Grenzen zwischen Gut und Böse: Samiel und der fromme Eremit verschmelzen zu einer Person - oder ist gar der Landesfürst Ottokar der todbringende Geist?

So reihen sich flüchtige, gekonnt inszenierte Bilder aneinander. Die Wolfsschlucht ist ein verlassenes Schlachtfeld, auf dem Knochen von ermordeten Soldaten liegen und das Schlachtgetümmel noch hörbar ist. Aber Blankenship bricht diese düstere Grundstimmung auch immer wieder mit Humor auf: so weidet Försterstochter Agathe am selben Tisch mit blutverschmierten Armen einen Hirsch aus, an dem Ännchen sich ein Butterbrot schmiert; das Lied vom Jungfernkranz ist eingebettet in einen bierseligen Abend im Kreis von Freundinnen.
Und zum Schluss kommt auch nur wenig Happy-End-Stimmung auf. Agathe und Max bleiben verwirrt und betroffen zurück, während Caspar verzweifelt für seine große Liebe gestorben ist.

Vielleicht ist es der Atmosphäre dieser völlig stimmig angelegten Inszenierung geschuldet, dass seltsam verhalten gesungen wird. Dagmar Hesse gibt die Agathe ohne große Nuancen in den Gefühlswelten, dabei gewohnt sicher singend, aber ohne wirklich anrührendes Piano. Das gilt auch für den Max, dem Mark Adler seinen stupend sicheren Tenor leiht, sich dynamisch aber vor allem im Forte wohl fühlt. Auch Rolf A. Scheider ist nicht unbedingt der ideale Caspar - zu selten flackern Verzweiflung und Trauer auf.
Quirlig, mit wendigem und „unschuldigem“ Sopran gibt Tanja Schun das Ännchen, verlässlich Frank Dolphin Wong den Cuno und Richard van Gemert den Kilian.
Ein Extra-Lob geht an die Premiereneinspringer: Heikki Kilpeläinen singt und spielt glanzvoll den Fürsten Ottokar anstelle von Raymond Ayers, der ebenso an einer Stimmbandentzündung leidet wie sein Kollege Orlando Mason. Der immerhin spielt seine Rolle als Eremit/Samiel, während Vladimir Miakotine ihn vom Bühnenrand aus ganz fabelhaft singt. Rundum erfreulich auch die Brautjungfern Seija Koecher, Gisela Ribbert, Dorothee Ueter und Andrea Kleinmann.

Der Freischütz ist wie geschaffen dafür, dass sich der Chor profiliert. In Hagen nutzen Chor und Extrachor unter Wolfgang Müller-Salow diese Chance und präsentieren sich versiert singend und mit großer Lust am Spiel. Im Orchester lässt vor allem das Blech aufhorchen, darunter die immer wieder solistisch stark geforderten Hörner, die kaum einmal patzen. Trompeten und Posaunen stehen denen in nichts nach, klangschön auch das Holz. Abstriche sind zu machen hinsichtlich der Streicher: da wird erstaunlich viel rhythmisches Geklapper hörbar, auch die punktgenaue Koordination zwischen Orchestergraben und Sängerdarsteller gelingt Dirigent Florian Ludwig nicht immer hundertprozentig.

Das Hagener Premierenpublikum zeigt sich anfangs zum Teil etwas irritiert, dass es den klischeehaften deutschen Wald nicht zu sehen bekommt, sich nicht in das getreue Abbild einer romantischen Oper mit heimeligem Försterhaus etc. versenken kann. Stattdessen erlebt es ganz konkrete Menschen mit ihren Gefühlen, Nöten, Imaginationen – und das ist es, was dann letztendlich doch berührt! Riesenbeifall!

Christoph Schulte im Walde

 











 
Fotos: Stefan Kühle