Zahme Katastrophen
Rainer Friedemann inszeniert menschliche Rache, tödliche Familienzwänge, Wahnsinn des Krieges im Wechsel von Action und Reflexion, im Austausch intimer und öffentlicher Situationen. Im Programmheft wird der Gehalt intelligent und materialreich begründet: doch werden diese archetypischen Leidenschaften nicht bewegend nachvollziehbar – bis am Schluss der gequälte Alvaro mit den Händen des toten Freundes und der gemeuchelten Leonora als Hoffnungsträger neuer Impulse in das aufgehende Licht blickt.
Walter Perdacher schafft auf der geöffneten Bühne mit einer spektakulären Schräge auf der Drehbühne mit markanten Elementen (Kreuz, Munitionskisten) und intensiven Lichtinseln eine imaginative Spielfläche.
Im hochkarätig besetzten Ensemble beeindrucken Stefan Adam als unmäßig rachsüchtiger Carlo mit allem Furor eines ungemein vitalen Baritons und Denis Combe-Chastel mit warm strömendem Bass als scheiternder Fra Melitone. Cynthia Jacoby ist eine leidende Leonora, vermittelt mit kontrollierten Höhen Verdi-Dramatik pur; voller Spinto-Dramatik der Alvaro Dominic Natolis, der mit einer schwelgenden Mittellage differenzierte Gefühle zeigt, aber bei den strahlenden Schlusstönen an seine Grenzen stößt.
Das Philharmonische Orchester Hagen geht die Verdi-Herausforderungen unter Antony Hermus temperamentvoll an, vermeidet brachiale Ausbrüche und befindet sich in allen Tempo- und Dynamikwechseln in guter Balance mit der Bühne.
Das Publikum – kommunikativ eingestimmt durch den Intendanten Rainer Friedemann auf die fehlenden Übertitel – ist hoch aufmerksam und folgt dem dramatisch-musikalischen Geschehen mit Spannung. Doch: Ich möchte einmal im Hagener Jugendstil-Theater sitzen und nicht durch redende Nachbarn oder ungeniert Hustende gestört werden. (frs)
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