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Fakten zur Aufführung 

A STREETCAR NAMED DESIRE
(André Previn)
7. Oktober 2008
(Premiere 4. Oktober 2008)

Theater Hagen


Points of Honor                      

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Gesang zur Filmmusik

Ist Blanche eine zickige ältere Schwester, eine traumatisierte Frau, ein Opfer machohafter Normen, eine unheilbare Schnaps-Drossel, oder ist sie der „Engel“, der nach Babylon kommt – und dort in der Endstation Sehnsucht im Wahnsinn umkommt? Ist Stan Kowalski ein eigentlich netter Kerl, ein pseudo-zivilisierter Proll, dem die so ganz andere Blanche ultimativ auf den Zwirn geht? Ist Stella eine lustvoll im Prekariat angekommene „höhere Tochter“, unbegriffen das Geschehen mit ihr erduldend?

Roman Hovenbitzers Inszenierung verweigert die Fokussierung auf das „Kern-Problem“, vermeidet permanent die lastende Schwüle des Tennessee Williams-Dramas und die schier unerträgliche Spannung des Marlon Brando-Films. Die existentiell zerstörten Figuren entwickeln erst nach langatmig lähmender Exposition dramatische Statur, werden zu psychisch gequälten Kreaturen auf ihren je unterschiedlichen Wegen zur „Endstation“ - über das Weiter-Existieren nach der Katastrophe bleiben Assoziationen. Skurriles, Affirmatives, Erotisches, Chaotisches, Sehnsüchtiges in den so kaputten Beziehungen wird auf der Hagener Bühne nach und nach spürbar, kulminiert im brutalen Crash.

Doch diese Bühne ist vom routiniert-ausstattenden Jan Bammes nichts anderes als das Bereitstellen der Versatzstücke auf Stichwort – ein Tisch, ein Stuhl, ein Vorhang ein Schminkspiegel, ein Kleiderschrank; da vermitteln auch kein auf- und absenkender Vorhang-Horizont und ein wechselnder Plafond mit Leuchtröhren wenig hermetische Beklommenheit.

Die zu sklavisch an den Dialogen des Schauspiels und Films orientierte Musik André Previns mit permanent-eklektischen Anleihen bei Britten, amerikanischer Folk Music, auch der Musik Bernsteins und Coplands bestimmt den Duktus der Komposition, der sich allerdings in den emotionalisierend-kommentierenden Zwischenspielen zu eigenständiger Bedeutung aufschwingt. Florian Ludwig verleiht mit dem konzentriert aufspielenden Philharmonischen Orchester Hagen dieser kompilierten Film-Musik zeitweise faszinierende dramatische Kraft, verbleibt aber vor allem in den langatmigen ersten zwei Stunden in einem bloß illustrierenden Duktus.

Dagmar Hesse fasziniert als undurchschaubare Blanche, zelebriert einen unkonventionellen Charakter mit rational nicht nachvollziehbaren Konflikten, beeindruckt als ambivalent gequälte Kunstfigur, erschüttert mit gebrochener Identität und zerstörter Existenz. Stimmlich liegen ihr die Amerikanismen Previns, ihre Artikulation vermittelt Emotionalität mit stimulierender Intensität. Frank Dolphin Wong ist ein Body-gestylter Kowalski, singt baritonal-operngerecht, lässt Bewusstseins-Brüche hörbar werden, wirkt aber permanent eher als machohafter Sunny Boy als ein dämonisch-rachsüchtiger Underdog. Dominik Wortig gibt dem suchenden Mitch beeindruckend-interpretierende Statur, setzt seine variabel-kraftvolle Stimme dramatisch ein. Mit Stefania Dovhan ist eine resigniert-lebenslustige Stella in all ihren Verstörungen zu erleben, stimmlich hoch präsent, kompetent in der Interpretation der Previn-Vorgaben. Mit Marilyn Bennett als geschwätziger Eunice und Dieter Goffing, Ingmar Klusmann und Horst Fiehl sind auch die „kleinen“ Rollen angemessen besetzt.

Volker Kösters Schwarz-Weiß-Videos – sterbende Gesichter, Blanche-Physiognomien – werden im Publikum als ergänzende Stimulantien wahrgenommen; doch die langatmig-dramaturgische Entwicklung führt zu Phasen rezeptiver Lähmung, steigert sich aber nach der Pause zu intensiver Anteilnahme und zollt Sängern und Orchester äußerst zustimmenden Applaus! Der Erfolg der Oper wird sich in Hagen herumsprechen und die bislang leeren Plätze füllen! (frs)

 






Fotos: Adolf Kühle