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Fakten zur Aufführung 

BRUDER LUSTIG
(Siegfried Wagner)
15. April 2000


Theater Hagen


RAUNENDER TEUTONISCHER MYTHOS

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Siegfried Wagners "Bruder Lustig" weckt mit seiner nervenden Allwissenheit, Allgegenwart und Allmacht Assoziationen an einen Old Shatterhand im Mythenwald. Doch passen die vielen verliebten, verlobten, verheirateten Frauen und Mädchen nicht ins Bild des Mayschen Männlichkeitsidols - und schon gar nicht hätte der große Fabulierer seinen Helden eine Massenvergewaltigung anordnen lassen! "Bruder Lustig" - Heinrich von Kempten - tötet, ist auf der Flucht, nutzt die sexbesetzte Andreasnacht für amouröse Erfolge, spielt Kaiser und Städte gegeneinander aus, benutzt Frauen, egal ob unschuldig, verschlagen, zickig oder mystisch zaubernd und ist am Ende der unwiderstehliche nice guy.
Zu Zeiten teutonischen Größenwahns (1905) uraufgeführt, während der Katastrophe 1944 (!) zuletzt auf der Bühne, gerät das schreckliche Opus in der Hagener "Wiederentdeckung" zu einer mittelalterlich raunenden Mär teutonischer Irrationalität. Da gibt es viele kluge Beiträge im hochinformativen Programmheft (schließlich ist Hagens Chefdramaturg Peter P. Pachl unbestrittener Siegfried-Wagner-Experte), doch gelingt es der augenscheinlich von der komplexen Materie zwischen Realität und Phantastischem hin und her gerissenen Regisseurin Renate Liedtke-Fritzsch nicht, die nötige Distanz für eine angemessene Deutung zu finden.
Das düstere Treppengelände von A. Christian Steiof verstärkt den Eindruck mythischer Reproduktion, wenn auch seine Kostüme mit zeitgeschichtlichen Verweisen kritische Kommunikationsangebote machen. Doch beharrt die Regie auf rätselhaftes Hin und Her, es gelingt keine szenische Deutung; und wenn die leidende Walburg am Schluss aus der Szene tritt, ist das eine Pointe, kann aber nicht die stundenlange Mystifizierung permanenter Brutalität - und ihrer Akzeptanz! - konterkarieren.
Georg Fritzsch präsentierte Siegfried Wagners spätromantisch orientierte Komposition mit dem Philharmonischen Orchester Hagen sehr behutsam, äußerst präzise in den aussagestarken Instrumentengruppen, vor allem in den sinfonischen Passagen sehr getragen, emotionale Befindlichkeiten herausarbeitend. Doch auch da desavouiert sich der Komponist durch verklemmte Sentimentalität und hemmungslose Gewalt.
Für das Ensemble keine leichte Aufgabe: darstellerisch an unausgegorene Regieanweisungen gebunden, nutzte Dagmar Hesse die Chance zur solistischen Glanzleistung, allerdings im wesentlichen auf leidende Lyrismen bezogen; da allerdings beeindruckte ihr weichströmender Sopran, intonationssicher, sehr geschmeidig und äußerst stimmschön. Volker Thies fehlte es als Heinrich, trotz guten Materials, an der nötigen Power, um die Nuancen des rücksichtslosen biedermännischen Desperados zu vermitteln. Höhepunkt: Stefan Adam als Gegenspieler Konrad, dessen Bariton zwischen weichem und metallischem Timbre changiert und das Haus füllt. Schade, dass es dem bewundernswerten Hagener Theater nicht gelang, an die überzeugende Neu-Produktion von Siegfried Wagners "An allem ist Hütchen schuld" anzuknüpfen. Dabei liegt es auf der Hand, das teutonische Epos als Drama von Mädchenträumen in Männerfantasien zu hinterfragen.
Das Premierenpublikum reagiert reserviert - positiv, doch blieben Irritationen unüberhörbar. Ein Besuch in Hagen - allein des bislang Unerlebten wegen - lohnt allemal. (frs)