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Fakten zur Aufführung 

BAHNWÄRTER THIEL
(Enjott Schneider)
28. Februar 2004 (Uraufführung)


Theater Görlitz




Points of Honor                      

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Der Film im Kopf

Gerhart Hauptmanns bittere Novelle über den sexuell hörigen Thiel zwischen seinen liebenden Erinnerungen an seine verstorbene Frau, seiner Fürsorge für den Sohn Tobias und seiner Abhängigkeit von der fordernden Lene mit katastrophalem Finale ist von Enjott Schneider in eine Musik umgesetzt worden, die existenzielle Emotionen wie einen "Film im Kopf" entstehen und explodieren lassen.

Diese gefühlsbetonte Musik mit voluminösen Streicherklängen, effektiver Schlagzeugverstärkung und kalkuliertem Bläsereinsatz wird von der Neuen Lausitzer Philharmonie unter dem agilen Eckehard Stier äußerst sensibel und in allen Instrumentengruppen präzis umgesetzt.

Der kommentierend-anklagend agierende Chor (Leitung Myron Michailidis) vollbringt eine exzeptionelle Leistung, Hans-Peter Struppe verkörpert einen von sich selbst verunsicherten Thiel - etwas steif, ohne letzte Nutzung der Phrasierungschancen, Yvonne Resch - ein Tippie Hedren-Typ, dieses Hitchcock-Ideals des unschuldig verführenden Frauen-Mythos - interpretiert ihre Rolle als Sexualsubjekt Lene mit hoher Intensität, mit erotisch stimulierender Attitüde, Anja Meyers Stimme als "himmlische" Minna verbreitet auratische Sphärenklänge. Das Görlitzer Ensemble - der kleine Johannes Klepatzki als Tobias ist ein professioneller Kinderdarsteller - vermittelt moralische Aggressivität par excellence.

Aron Stiehl gelingt es mit hochintensiver Personenführung, den inneren Kampf des tumben Thiel zwischen den Mächten des irrationalen und seiner unbegriffenen Existenz szenisch zu vermitteln - Hörigkeit, Verletzlichkeit, Scham, Visionen Wahnsinn eines Wozzek-Vorgängers werden in ihren Extremen hautnah nachvollziehbar.

Die permanent präsenten Gleise auf der Drehbühne sind die Metapher für Thiels Weg in den Wahnsinn. Karen Hilde Fries konfrontiert die enge Welt Thiels mit seinen irrationalen Visionen, nutzt die Möglichkeiten der Bühnentechnik und imaginiert mit fulminanten Lichteffekten eine ungemein dichte Atmosphäre irrationaler Kräfte. Integriert sind konkret-abstrakte Videoprojektionen von Kirsten Winter, die einen wesentlichen Beitrag zum "Gesamtkunstwerk" von Spiel, Gesang, Musik, Raum, Gegenständen und flüchtigen Bildern darstellen.

Für das mutige Theater Görlitz ist die Uraufführung eine gewaltige - gelungene - Kraftaustragung. Zur Premiere sind viele Neugierige und Experten von weither angereist (vom Ruhrgebiet z.B. sind es ca. 700 km bis in die östlichste Stadt der Republik), die Wertschätzung des Gebotenen liegt sehr hoch, der viertelstündige Schlussbeifall ist enthusiastisch, bedenkt Solisten, Chor, Orchester, Komponist und das junge Regieteam mit Ovationen. (frs)

P.S. Übertitelt ist in Polnisch - eine Dokumentation der engen Verbindung von Görlitz und dem benachbarten polnischen Zgorzelec; aber auch deutsche Übertitel wären wünschenswert.


Karten unter (03581) 47 47 0






Fotos: © Kai-Uwe Schulte-Bunert