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Fakten zur Aufführung 

LA FAVORITA
(Gaetano Donizetti)
9. Januar 2010 (Premiere)

Stadttheater Gießen


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Große Gefühle

Es ist die italienische Fassung von 1842 der Favorita, die in Gießen präsentiert wird – nicht das französische Original: Grund scheint zu sein, dass diese Version in ihrer bewussten Reduzierung der artifiziellen Belcanto-Attitüden eine intensivere Fokussierung archaischer Gefühle vermittelt. Und: Die musikalischen Anforderungen entsprechen den Möglichkeiten des Gießener Orchesters und Ensembles (schon in Wien Anno 2003 gab es Probleme mit den extremen Belcanto-Rollen der Pariser Fassung!).

Die dramatische Geschichte der Königs-Mätresse Leonore, die mit dem verliebten Ex-Mönch und triumphalen Krieger Fernando vermählt wird, spielt im Spanien des autoritären Katholizismus – die Macht-Kontroversen zwischen Abt und König verweisen auf die Philipp/Großinquisitor-Konflikte im Don Carlos!

Stefan Rieckhoffs Bühne mit einer schrägen Rampe, einem halbrunden Podest, mächtigen symbolischen Elementen (Krone, Bild einer domestizierenden Taube) und kollektiv-vereinnahmenden Kostümen schafft die bedrängenden Bilder lastenden ideologischen Zwangs, in dem menschliche Gefühle keine Chance zur differenzierten Gestaltung haben.

Helmut Polixas Regie betont diese Ausweglosigkeit durch formiertes Agieren, schafft beklemmende Tableaus, vereinzelt die Akteure in radikaler Isolation – demonstriert eine Welt, in der es keine intimen kommunikativen Beziehungen geben kann!

Das typengerecht besetzte, stimmlich überzeugende Gießener Ensemble vermittelt sowohl einen nachhaltigen Eindruck der emotionalen Bedrängungen in einer unfreien Gesellschaft als auch der genialen musikalischen Ideen Donizettis. Odilia Vandercruysse gibt der Ines flexibel-ausdrucksvollen Sopran – weich in der Mittellage, klangschön in den emotionalen Höhen. Jose Gallisa überzeugt als klerikal macht-insinuierender Abt Baldassare, setzt seine stimmliche Kraft demonstrativ ein und steht für einen gnadenlos-unbeugsamen Charakter. Xavier Morenos dramatischer Tenor gibt dem permanent verunsicherten Fernando Leidenschaft, Liebe, Hass und Verzweiflung: das gelingt ihm mit beeindruckender Intensität – mit viel Kraft und Durchsetzungsfähigkeit. Victor Benedetti ist ein ambivalent zweifelnder König Alfonso – beeindruckend in stimmlicher Variabilität, kernig im Duktus, souverän im Ausdruck! Als Leonora ist eine hinreißende Giuseppina Piunta zu erleben – eine grandiose Figur, eine hinreißende Stimme mit differenziertem Ausdruck, ein beeindruckendes Timbre, absolut sicher in allen Lagen, ohne Makel in den geforderten Höhen. Alexander Herzog ist ein intriganter Don Gasparo – darstellerisch präsent, stimmlich souverän. Der Gießener Opernchor (Leitung Jan Hoffmann) ist Garant für kommentierend eingreifenden kollektiven Gesang – perfekt stimmlich abgestimmt, offensichtlich hoch engagiert agierend.

Eraldo Salmieri leitet das aufmerksame Philharmonische Orchester Gießen, setzt auf dramatische Akzente, inszeniert spektakuläre Crescendi, betont in der Dynamik die knalligen Effekte – findet aber nur selten zu einem ausgewogen-differenzierenden Donizetti-Klang. Das korrespondiert allerdings mit dem Defizit an elaboriertem Belcanto auf der Bühne!

Im atmosphärisch dichten Gießener Jugendstil-Theater herrscht gespannte Aufmerksamkeit, am Schluss jubelnde Begeisterung. Allerdings: Innerhalb dieser wunderbaren Stimmung gibt es „Inseln“ der verdeckten Störung: Vor mir zwei tuschelnde Tussis, hinter mir ein maulendes Alles-Wisser-Paar, links und rechts neben mir blätternde und Kuli schwingende unprofessionelle Pressemappen-Besitzer. Nach der Pause und Umzug in den – akustisch phantastischen – Zweiten Rang: ungestörtes Mit-Erleben!

Franz R. Stuke










Fotos: © Rolf K. Wegst