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Fakten zur Aufführung 

DIE WALKÜRE
(Richard Wagner)
10. März 2007

Vlaamse Opera Gent

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Gottheit Technik

Es beginnt, wie es „eigentlich“ endet: Die Welt ist zerstört, die krakenartige Gottheit Technik beherrscht die Welt – bizarre Technik-Türme, flimmernde TV-Bilder, elektronisches Flackern, bedrohliche Apparate-Medizin beherrscht die Bühne, allein ein Baumstumpf erinnert an vergangene Zeiten. Jan Versweyveld lässt seiner Phantasie gezielt freien Lauf, zeigt entfremdende Formen von Medien, Elektronik und high tech – Umwelt in beklemmender Dichte. Welch ein Aufwand! Welch ein Effekt!

Ivo van Hove entwickelt in diesem Tohuwabohu von Metall-Skeletten, Monitoren und medizinischen Geräten ein Endspiel mit solch dramatischer Wucht, wie das bei einer Walküren-Inszenierung mit dieser emotionalen Intensität wohl noch niemals zu erleben war! Dazu spannungsgeladene Beziehungen zwischen den hilflos-zwanghaft Agierenden; dazu bezwingende Regie-Einfälle, von denen das Auftauchen leibhaftiger Pferde noch der Konvention zuzurechnen ist, die nervenaufreibenden brutalen Szenen terroristischer Gewalt jedoch die stupende Fähigkeit van Hoves für strukturiert-furiose Massenszenen atemraubend deutlich werden lässt. Und wenn denn überwältigende Technik und rücksichtsloser Terror einander bedingen, ist es aktualisierend schlüssig, dass das Schwert eine Kofferbombe und der Speer ein Baseball-Schläger ist.

Die Sänger-Darsteller lassen sich auf die Herausforderungen mit Verve ein. Jeffrey Dowd ist ein orientierungsloser Siegmund; er gibt der Rolle vor allem mit seiner emotional-variablen Mittellage ambivalenten Charakter, vermag aber auch mit den „Wälse“-Rufen zu prunken. Therese Waldner gibt der Sieglinde eine hinreißend-flexible Statur, singt mit bewundernswertem Gefühl für die wechselnden Gefühlslagen der gepeinigten Frau. Attila Jun hat als brutaler Hunding Gelegenheit, seinen variablen Bass-Bariton effektvoll zu präsentieren. Jayne Casselman vermittelt eine konfus-opponierende Brünnhilde mit faszinierender stimmlicher Kraft – ausdrucksvoll, ohne Anstrengungen hören zu lassen. James Johnsons Wotan ist darstellerisch eine Glanzleistung, stimmlich auf höchstem Niveau – differenziert in allen Lagen, präsent im Ausdruck. Eine Offenbarung: Anne Mason als verzweifelt um gültige Werte kämpfende Fricka – eine exorbitante Energieleistung bemerkenswerter Leidenschaften.

Und die Walküren: eine kämpferische girls-band mit beeindruckender stimmlicher Durchsetzungskraft!

Das Symfonisch Orkest van de Vlaamse Opera korrespondiert mit dem furiosen Bühnengeschehen auf beglückende Weise. Ivan Törzs kennt die bühnendramatischen Intentionen Wagners und scheut sich nicht, diese effektvoll auszuspielen. Und das gelingt mit bewundernswerter Perfektion.

Dass am Ende kein rauchender Feuerkranz Brünnhilde einschließt, sondern sie auf einer Intensivstation von Monitoren mit den Bildern ihrer Körperfunktionen umgeben ist, ist für das Publikum schlüssig-überzeugend. Nun beherrscht in Gent ohnehin nicht das weihevolle Wagnerianertum Parkett und Balkons, aber es ist schon bemerkenswert, mit welcher Aufmerksamkeit und Spannung das ungewöhnliche Bühnengeschehen verfolgt wird - zumal das Sitzen in engem Gestühl schon einiges an Leidensfähigkeit abverlangt. Im imposanten 5-Ränge-Haus in Gent macht sich am Ende begeisterte Zustimmung Luft – doch standing ovations, wie in den benachbarten Niederlanden, sind offenbar nicht des Landes Sitte. Schade. (frs)


Fotos:
Annemie Augustijns
Jan Versweyveld