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Fakten zur Aufführung 

LA STRADA
(Luc Van Hove)
17. Februar 2008
(Uraufführung: 29. Januar 2008)

Vlaamse Opera Gent


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Verlorene Leben?

Wände mit Plakaten, abgerissen, überklebt, wieder abgerissen, wieder überklebt und zerstört – wie ein öffentliches Groß-Palimpsest, eine eindringliche Metapher für die verlorenen Leben von Zampano, Gelsomina, Matteo und all der anderen an der Straße.

Benoît Dugardyn schafft eindrucksvoll minimalisierte Bilder eines ergreifenden Endspiels – verwehende Projektionen der Straße, der heranrollenden Schaumkronen der Meereswellen verbinden sich mit der verfremdeten Bühnenrealität wie in einem Panorama.

Waut Koeken, der sensibel-kreative junge Regisseur, lässt Menschen in ihrer Verlorenheit agieren – die ausweglos opponierenden Protagonisten, das kollektiv alternativlose „Volk“, sogar einen ziellos herumirrenden Hund. Das gerät nie zum reproduzierten Klischee des Fellini-Films, das ist „Bühnenhandeln“ höchster Intensität!

Luc Van Hove schafft als Auftragsproduktion der Vlaamse Opera eine sinfonisch orientierte Komposition, die nicht – wie Philipp Glass mit Cocteaus La Belle et la Bete – internalisierte Bilder eines Films musikalisch neu „untermalt“; er orientiert sich eher an Brittens Peter Grimes mit intensiv-kommentierenden Intermezzi, mit instrumentaler Charakterisierung innerer Vorgänge. Dabei setzt er konsequent auf traditionelle Mittel des Musiktheaters, setzt Instrumente effektvoll ein und beeindruckt durch hörbare Transparenz – nur einmal wird musikalisch zitiert: Nino Rotas Trompeten-Motiv. Luc Van Hove erfindet nicht die Musik des 21. Jahrhunderts, vitalisiert vielmehr Musik der „alten“ Avantgarde. Er entwickelt daraus neue Kräfte, vermittelt emotionale Empathie für die Ausgebeuteten – und schafft eine „politisch wirksame“ Musik im Sinne Henzes. Unter Koen Kessels ist das Symfonisch Orkest der Vlaamse Opera ein hochkompetentes Ensemble der effektreichen kalkuliert-vielschichtigen Musik: Emotionen werden grandios interpretiert!

Richard Salter und Jeannette Fischer sind nicht Anthony Quinn und Giulietta Masina – sie finden ihre eigene Statur. Großartig, wie der unverwüstliche Richard Salter mit dem geforderten Sprechgesang und extremen vokalen Ausbrüchen stimmlich fertig wird, wie er einen zerbrochenen Charakter mit vorgegebener Macht-Attitüde zum innerlich hilflosen Opfer werden lässt. Jeannette Fischers Gelsomina ist ein erschütternd-naives Naturwesen, das eine unbelastete Zukunft erträumt und desillusioniert vergeht – darstellerisch ein Wunder an existenzieller Unbefangenheit, sängerisch virtuos in der Präsentation stimmlicher Agilität: bewegend leidend im lyrischen Schweben, aufbegehrend in selbstbewussten Höhen, immer auf Höhe mit dem fulminanten Orchester. Yves Saelens lässt den Matteo zum zirzensischen Philosophen werden - ein verkannter Bonvivant mit brillanter Stimmführung! Erstaunlich, auf welch hohem Niveau die Solisten der Vlaamse Opera die übrigen Rollen darstellerisch und stimmlich bewältigen, und wie Chor und Kinderchor (!) die differenzierte Handlung tragen!

Das Premierenpublikum im imposanten Opernhaus zu Gent folgt durchaus gespannt, gerät aber nicht in Begeisterung, applaudiert am Ende – nach einer sekundenlangen Verzögerung der Betroffenheit nach Fallen des Vorhangs – respektvoll, aber nicht enthusiastisch. Gespräche danach machen deutlich, dass manchem Connaisseur sowohl die Nähe zum Film als auch der Aufbruch in neue kompositorische Dimensionen fehlte: Mon dieu, ein unbefangenes Publikum wird da empfänglicher sein, wird sich auf das grandiose Angebot von verstehbarer Musik, intensivem Gesang und imaginierender Szene einlassen! (frs)

 

 






Fotos: Vlaamse Opera Gent