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Entfesselte Phantasie
Also: Es ist nichts mit der von Schikaneder geforderten „Zauber-Oper“, es ist aber auch nichts mit dem Fanal der Freimaurer-Aufklärung. Vielmehr flackern Szenen voller „Scherz, Satire, Ironie“ über die absurd bestückte Bühne – und das Publikum hat Mühe, die „tiefere Bedeutung“ zu verinnerlichen. Michiel Dijkema setzt da ganz konsequent auf die entfesselte Phantasie, die das so inkonsistente Werk freisetzen kann – bei „Bedeutungs-Suchenden“, bei Regisseuren, Darstellern, Bühnenbildnern – und beim Publikum! Das gelingt mit Verweisen auf skurrile Szenen aus der Theater-Geschichte (wie die Drei Damen als die Wilmersdorfer Witwen in Linie 1 oder den Papageno im Renaissance-Kostüm) – und das gelingt vor allem durch immer wieder abgebrochene, scheinbar in sich selbst ruhende Szenen: Es entsteht permanenter „Zwang“ zur Reflexion, zum Verstehen neuer überraschender Konstellationen, zum Verlassen der Rezeptions-Routine. Und die Sinn-Frage? Mon dieu, was gibt es mehr im Theater, als verschüttete Phantasie freizusetzen?!
Auf Dijkemas facettenreich-detailreicher Bühne bewegen sich Figuren in interpretationsreichen Kostümen – die Erleuchteten in Schützen-Uniform, die Königin der Nacht als eine Art Laura Croft – von Claudia Damm (Glückwunsch an die Gelsenkirchener Ausstattungs-Werkstätten!).
Mozarts quirlige Musik wird von Rasmus Baumann mit der Neuen Philharmonie Westfalen außerordentlich temporeich, lustvoll nuancenreich und rhythmisch-melodisch perlend präsentiert: Ein Triumph der perfekten Lockerheit, eine Hommage an Lebensfreude – aber auch an das Zweifeln an gültigen Wahrheiten! „Opern-Musik“ vermittelt durch ein außergewöhnlich spielfreudiges Orchester, geleitet von einem Dirigenten, der permanent mit Graben und Bühne lebhaft-konzentriert kommuniziert!
Mit Diana Petrova ist eine koloraturen-kaskaden-brillierende Königin der Nacht zu erleben; Petra Schmidt singt eine bewegende Pamina in reinsten Tönen; Lars-Oliver Rühl verzichtet auf alle schmachtenden Klischees, singt einen eher herben Tamino; Michael Tews ist nicht der abgründig grummelnde Sarastro, verleiht ihm vielmehr differenzierte Ambivalenz; Piotr Prochera – ein „menschlicher“ Papageno mit beeindruckend variablem ausdrucksstarkem Bariton; Alfia Kamalova eine zauberhafte Papagena; Richetta Manager, Noriko Ogawa-Yatake und Anna Agathonos – drei skurril-imaginierende Damen - und das gesamte Ensemble darstellerisch präsent und stimmlich überzeugend.
Zum 50jährigen Jubiläum des Musiktheaters im Revier – und zugleich zur Wiedereröffnung des Hauses nach technischen Verbesserungen, Optimierung der Akustik und restaurierten Sitzen im Auditorium – ist diese Zauberflöte ein Versprechen für die Zukunft. Verweist sie doch auf die „Spiritualität“ des Theaters – ohne den Anspruch der „moralischen Anstalt“. Es will am Ende der so irritierenden „Show“ scheinen, als ob die „Botschaft“ beim Publikum angekommen ist: Es lebe die Phantasie!
Franz R. Stuke
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