Alles im Finale
Mit der grandiosen Schlussszene des zweiten Akts kommt die Inszenierung zu sich, zum Stil des gefühlsträchtigen Kostümfilms. Da werden elementare Leidenschaften plakativ präsentiert - und die vergeblichen Bemühungen um politisches Theater und Grand Opera verschwinden im glücklichen Vergessen. Zuvor gab es zeremonielles Stehen und Schreiten, verquaste Verweise auf Pseudo-Aktualitäten mit einer Dido als Evita-Karikatur, einer Sonnenblumen-Gesellschaft, dem Rudelbums in einer Swinger-Szene und einen Iopas als Glamour-Fatzke im glitzernden Goldhemd.
Andreas Baesler korrigiert offensichtlich den vergeblichen Versuch, archaische Mythen mit ihren Emotionen und Grausamkeiten ins Reale zu übertragen - und kommt damit auch den stimmlichen Möglichkeiten des Sänger-Ensembles entgegen.
Anke Sieloff, stimmlich agil und mit emotionaler Intensität aber ohne die überwältigende power des „Heldinnen-Soprans“, findet in den verinnerlichten Szenen des Kammerspiels zur Seele der existenziell verletzten Dido. Auch Christopher Lincolns enggeführter, angestrengter Tenor gibt schließlich dem zerrissenen Aeneas angemessenen Klang. Und die stimuliert agierenden und singenden Mitglieder des so erfahrenen Gelsenkirchener Ensembles haben Gelegenheit zu intensiven Charakterstudien (Katarzyna Kunico als Anna, Nicolai Karnolsky als Narbal).
Hermann Feuchters kühle Bühnenarchitektur mit weißen Wänden und Ausblicken durch Lamellen-Vorhängen auf eine öde Wüstenlandschaft schafft kommunikative Außen-Bezüge. Doch ein schwarz-verhülltes Bett als Focus im Bühnenmittelpunkt vermittelt weniger liebende Intimität als vielmehr den möbel-gewordenen Appell an die Optimierung des karthagischen Bevölkerungswachstums. Glücklicherweise reduziert sich dieser satirische Eindruck in den abschließenden Szenen auf die entsagende Funktion für die leidenschaftlich emotionale Dido.
Der Neuen Philharmonie Westfalen gelingen unter dem klugen Samuel Bächli hoch eindringliche Passagen, die deutlich werden lassen, wie sich Wagners Musik aus dem Berlioz-Ingenium ableitet: schwebende Streicher-Lyrismen, dramatische Bläser-Offensiven, kalkulierte forte-tutti in den Finalen!
Wer allerdings verbreitet, die Trojaner in Gelsenkirchen seien „nicht angekommen“, begeht üblen Rufmord: Das Haus ist nahezu voll besetzt, das Publikum folgt dem Geschehen mit Spannung, diskutiert in der Pause und applaudiert mit großer Begeisterung - das Ziel „Italia“ findet sich vor Ort! (frs)
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