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Fakten zur Aufführung 

OTELLO
(Giuseppe Verdi)
27. Januar 2008 (Premiere)

MiR Gelsenkirchen


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Box-Milieu

Im Orchester toben die Naturgewalten – auf der Bühne kämpfen zwei Boxer; in Boitos tiefgründigem Text werden Fragen der menschlichen Existenz thematisiert – auf der Bühne geht’s um Intrigen im schmuddeligen Box-Milieu. So trivialisiert Dieter Kaegi ein epochales Werk zur soap opera. Atmosphärisch dichte Box-Welt mit authentischen Typen und ein grandios vorgeführtes Jago-„Glaubensbekenntnis“ vor der Kamera – das ist Theater-Thrill, führt aber nicht zu einer neuen Sicht auf die archetypischen Probleme menschlicher Beziehungen.

Konkret-inszenatorisch korrekt und mit spektakulärer Optik – das Box-Ambiente mit Ring, Stahlrohr-Rängen, wuselnden Funktionären, Fotografen, Kameraleuten mit Live-Video-Projektionen von Stefanie Pasterkamp. Nur das Schlussbild mit übriggebliebenem Ring-Podest und zwei einfallslosen Wänden ist offenbar Resultat der zu kurz greifenden Inszenierungs-Konzeption.

„Dämonisch“ in faszinierender Bühnenpräsenz ist Jee Hyun Kim als Jago, ein verschlagener Intrigant, zynisch, bösartig, feige im Finale – stimmlich von voluminöser Statur, wandlungsfähig im souveränen Ausdruck, bezwingend in der intensiv-artikulierenden Mittellage, triumphierend in den volltönenden Höhen – ein Jago der Extraklasse! Keith Olsen spielt den Otello glaubwürdig als frustrierter Box-Promoter – dass er die Rolle des „Fremden“ in desolater Umwelt nicht sein kann, ist wieder einmal dem unausgegorenen Regie-Konzept geschuldet; dass er zwar in der Mittellage stimmlich überzeugt, aber sich bei den Fortissimi in den Höhen kalkuliert zurückhält, hat aber mit seiner Stimmkraft und der Risikobereitschaft des dramatischen Tenors zu tun. Noriko Ogawa-Yatake interpretiert die Desdemona als Opfer unbegriffener Konstellationen, singt mit emotionaler Eindringlichkeit und beweist ihre Sensibilität in den lyrischen Arien. Remi Garin als Cassio, Christian Helmer als Gesandter und Anna Agathanos als Emilia agieren und singen typengerecht und stimmlich kompetent; William Saetre und Wolf-Rüdiger Klimm überzeugen als Roderigo und Montano. Der Chor agiert hoch variabel, vermittelt eindrucksvolle Szenen eines erregten Box-Publikums und singt in perfektem kollektiven Zusammenklang.

Geradezu grandios die Verdi-Interpretation der Neuen Philharmonie Westfalen. Samuel Bächli hat die Musiker akribisch auf die so unterschiedlichen Anforderungen vorbereitet, leitet sensibel, differenziert zwischen dramatischen Ausbrüchen und lyrischen Phasen, animiert zu abgestimmtem Zusammenspiel, fokussiert auf eindringliche Instrumentensoli und sorgt für eine hörenswerte Balance von Graben und Bühne. Der luzide Klang ist weit weg von jeglichem Klischee, vermittelt vielmehr die Verdi-Boito-Intentionen mit differenzierter Leidenschaft.

Das kundig-offene Gelsenkirchener Publikum feiert Jee Hyun Kim, applaudiert heftig den Solisten, bejubelt das Orchester, bleibt reserviert beim Erscheinen des Regie-Teams – die „Weisheit des Auditoriums“ überzeugt mal wieder. (frs)

 

 










Fotos: Rudolf Finkes