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Fakten zur Aufführung 

MEFISTOFELE
(Arrigo Boito)
24. Oktober 2010
(Premiere: 24. September 2010)

Musiktheater im Revier Gelsenkirchen


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Faust auf Gottes Thron

Arrigo Boito ist in deutschen Landen vor allem bekannt als Librettist für Othello und Falstaff von Verdi. Für Germanisten bis heute nahezu unfassbar wagte er es, als Textdichter und Komponist Teile von Goethes Faust I. und II. Teil zu einer erst fünfstündigen und nach deren Misserfolg zweieinhalbstündigen Oper Mefistofele unter Wahrung der zeit- und raumumspannenden Rahmenhandlung zusammenzufassen. Zwischen einem Prolog im Himmel mit der Wette um Fausts Seele und einem Epilog im Studierzimmer mit Fausts Erlösung und Mephistos Niederlage gibt es vier Akte, von denen drei die Gretchen-Tragödie mit eingeschobener Walpurgisnacht und nur einer das Treffen mit Helena und angedeuteter Klassischer Walpurgisnacht beinhalten.
Nun hat sich das Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen zur Saisoneröffnung an die hier selten aufgeführte Oper gewagt. Denn musikalisch braucht es für die Oper vor allem drei große Stimmen - und die kann man in Gelsenkirchen bewundern. Da ist vor allem der Tenor Ray M. Wade jr. zu nennen, der den Faust mit wunderschönem Legato und immer schön klingenden Spitzentönen sang und auch das piano der Kerkerszene meisterte. Gleiches kann man an Gretchen (hier Margherita) von Petra Schmidt bewundern. Selbst die wenigen Koloraturen ihrer Partie - im Kerker mit Flötenbegleitung - sang sie sehr innig und mit großem Ausdruck. So wurde die Kerkerszene im 3. Akt zum solistischen Höhepunkt des Abends, wobei Kerker die wie auch sonst häufig leere Bühne gefüllt mit Kinderwagen war. (Bühne Dirk Becker). Aus der Titelpartie kann der Sänger schauspielerisch mehr machen als die anderen Solisten aus ihren Partien - und Boito hat für ihn zudem die charakteristischere Musik geschrieben, Glöckchen kündigen ihn an und Fagotte sind ihm zugeordnet und die Partie verlangt sehr rhythmisches Singen. Dong-Won Seo nutzte diese Möglichkeiten voll aus. Dabei unterstütze ihn sein bis in tiefste Tiefen reichender Bass, wobei er an ganz wenigen Stellen nicht mit dem Orchester zusammen war. Zusammen mit Frau Marthe (hier Martha) von Almuth Herbst wurde so das Quartett der Gartenszene zu einem abwechslungsreichen Genuss. Garten war Theater auf dem Theater mit kitschigem Blumenhintergrund.

Gott den Herrn hat Boito gestrichen – seinen Text übernimmt der Chor der Engel. Regisseur Michael Schulz führt ihn aber wieder ein und lässt ihn von dem verhältnismäßig kleinen Schauspieler Rüdiger Frank auf einem mitgebrachten Klappstuhl oder auf einem Thron sitzend spielen. Ganz stumm bleibt er nicht, denn einmal spielt er E- Gitarre - und einmal lacht er. Um dauernden Widerpart zu Mephisto zu geben ist er fast immer auf der Bühne, was den Kampf um Fausts Seele verdeutlicht... Begleitet wird er von Erzengeln mit großen Flügeln – ähnlich denen des auch nicht vorgesehenen Engels im Fliegenden Holländer, wie er derzeit in Münster zu sehen ist (Requisitenaustausch zwischen Stadttheatern?). Die Gestaltung der Massenszenen der Walpurgisnacht könnte unter Goethes Motto stehen „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen“. Alle erdenklichen sexuellen Abarten mit oder ohne Kostümen aller Zonen und Zeiten sind zu sehen – allerdings nicht ganz ohne Begründung in der verschiedene Stile benutzenden Musik. Die klassische Walpurgisnacht wird dann als Opernparodie des Giulietta-Aktes aus Hoffmanns Erzählungen gezeigt – durchaus passend zur Musik - mit Majken Bjerno als Helena mit vibratoreicher, in der Höhe forcierter Stimme.
Richtige Wucht bekamen diese Massenszenen aber durch die ganz großartigen Chöre (Chordirektor Christian Jaub) Ob von oben fast zu fromm singende Engel oder derben Rhythmus skandierende Teufel – immer macht es Spaß zuzuhören. Dies gilt auch für das Orchester unter Leitung von Rasmus Baumann. Die große durchkomponierte Form gelingt ebenso wie zarte und feine Nuancen in den Zwischenspielen, die die schönste Musik der Oper enthalten. Ein besonderes Lob gebührt den Bläsern, von oben und im Orchester spielend.
Zum erlösenden Schluss setzt sich der etwas massige Faust auf den Thron des kleinen Gottes. Mit Erlösung haben heutige Opernregisseure eben so ihre Schwierigkeiten! Vielleicht soll der tätige Mensch nunmehr Gott ersetzen?
Das Publikum ließ sich nicht durch die am Eingang angebrachte Warnung vor Stroboskop-Licht entmutigen, manche suchten sich ausgerechnet die Kerkerszene und nicht die Walpurgisnacht zum Husten aus, zum Schluss großer Beifall und Bravi für die Sänger der Hauptpartien. Trotz Ungereimtheiten in der Inszenierung bleibt die Erinnerung an einen gelungenen Opernabend.

Siegfried Brockmann

 













 
Foto: Pedro Malinowski