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Unbehaust
Verdis "Räuber"-Version wird in der Regie Dieter Kaegis zu einem bezwingenden
Drama der unbehausten Charaktere. Carlos als ambivalenter "Guter", Francesco
als Jago-Vorläufer, Amalia im Bann des vergebenen Glücks.
Stefanie Pasterkamps Bühne vermittelt morbiden Charme: eine groß dimensionierte
Doppeltreppe in einem archetypisch verfallenenden Schlossambiente - viel
Raum für die Räuber und zugleich intime Bereiche für die dramatischen
Kontroversen zwischen den unbehausten Protagonisten.
Verdis "Masnadieri" gilt als abschließender Höhepunkt des Belcanto; das
heißt Koloraturenbillanz, Sensitivität für gefühlvolle Piani und keine
strahlend-forcierten Spitzentöne wie das konventionelle Verdi-Klischee
erwarten lässt. Diesem artifiziellen Gesangsstil sind die Gelsenkirchener
Solisten phantastisch gewachsen: Gabriella Morgi ist ein Belcanto-Star
par excellence, singt aber nicht l'art pour l'art, sondern vermittelt
elementare Gefühlswelten - wohl so, wie es sich Rossini in seinen Idealvorstellungen
erträumt hat! Mit Burkhard Fritz singt in Gelsenkirchen ein faszinierend
vielseitiger Tenor: nach seinem überwältigenden Erfolg als Florestan beweist
er hier seine exorbitante Fähigkeit zur tenoralen Flexibilität in der
Darstellung komplexer Charaktere. Nikolai Miassojedovs Francesco gibt
einen verloren-brutalen Intriganten, in der Aktion stupend, stimmlich
eher eindimensional. Ensemble und Chor spielen und singen auf hohem Niveau.
Die Neue Philharmonie Westfalen präsentiert sich unter Bernhard Stengel
äußerst diszipliniert, schwelgt durchaus in Verdi-Wogen, nutzt aber jede
Gelegenheit zur Unterstützung sängerischer Brillanz und lässt Ambivalenzen
hörbar werden.
Das vertrauensvolle Publikum des Musiktheaters im Revier nimmt das absolut
innovative Angebot mit voller Hingabe auf, folgt gespannt dem klaren Ablauf,
vollzieht das Geschehen nach, ist von den Leistungen der Sänger und des
Orchesters hingerissen. Ein phantastisches Auditorium! (frs) |
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