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Fakten zur Aufführung 

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL
(Wolfgang Amadeus Mozart)
6. Juni 2009 (Premiere)

Musiktheater im Revier Gelsenkirchen


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Gebremste Emotionen

Wie im Märchen aus Tausendundeiner Nacht: viele Menschen bevölkern die Bühne. In bunter, orientalischer Kleidung, hier prunkvoll, dort etwas ärmlich. Sie gehen ihrem Alltag nach, verkaufen Tuch und Gefieder, werden schon mal zu Langfingern. Andere drehen sich als steifliche Derwische fortwährend im Kreis. Mittendrin drei Ausländer: Konstanze, Blonde und Pedrillo, Gefangene des Bassa Selim. Hier beginnt die Geschichte, die Mozart zu einer seiner Opern machte, in der das Menschliche, das tiefe Gefühl am deutlichsten Ausdruck bekommt.

Das gilt indes nicht unbedingt für die Lesart, die Regisseur Elmar Gehlen in seiner Inszenierung entfaltet. Statt dynamischer Charaktere, die sich nachvollziehbar im Laufe des Stückes verändern, sieht man hier Figuren, die durchweg ihre Rolle spielen, aber dabei allenfalls minimale Entwicklungen durchleben. Die erste Begegnung von Konstanze und Belmonte, nachdem dieser Zugang ins Serail bekommen hat: nicht gerade überschäumendes Glücksgefühl! Pedrillo, der sich in der neuen, wenn auch erzwungenen Heimat ganz wohl fühlt und eingerichtet hat, spielt durchweg einen clownesk angelegten Typ. Osmin ist auf die Welt gekommen um fortwährend zu granteln und den großen Macker zu machen. Bassa Selim: ein Herrscher, der nichts als stoische Ruhe und Gelassenheit kennt. Man kann die Szenerie in einer solchen eher eindimensionalen Weise interpretieren, vergibt sich aber die Chance zu echtem Leben auf der Bühne. Ausnahme: das Quartett im zweiten Aufzug. Da begegnen sich zwei (Liebes-)Paare, die jeweils ihren Zweifeln hinsichtlich der gegenseitigen Treue Laut geben.

Gespielt wird im Kleinen Haus – das große wir zur Zeit umgebaut. Auf der Bühne (auch hierfür zeichnet Elmar Gehlen verantwortlich) stehen zwei meterhohe Halbkreise, die drehbar sind und die Gestaltung höchst flexibler Räume ermöglichen, etwa den „Goldenen Käfig“ der Konstanze oder den Ort, an dem Pedrillo und Osmin ihr Saufgelage abhalten. Oder eben auch den Schauplatz des Quartetts, für den diese Bühnenelemente einen intimen Rahmen liefern.

Gesungen wird in Gelsenkirchen eher mittelprächtig. Mozart ist verflixt schwer und anspruchsvoll, wie diese Entführung wieder einmal belegt. Diana Petrova verfügt über einen obertonreichen Sopran, der ihrer Konstanze Prägnanz, aber oftmals auch übergroße Schärfe gibt. Auch neigt sie zu unkontrollierten dynamischen Ausbrüchen, die einfach unorganisch wirken. Immerhin: ihre „Martern aller Arten“ lässt den Funken überspringen. Lars-Oliver Rühl als Belmonte hinterlässt von Anfang an einen etwas zwiespältigen Eindruck: sein Tenor strahlt in der Höhe nur fahl und klingt belegt, steht immer etwas unter Druck. Rühl ist indes ein ganz guter Darsteller – was auch für Michael Tews als Osmin gilt. Der legt den orientalischen Haudegen stimmlich auch eher rustikal an. Den Pedrillo gibt E. Mark Murphy mit quirliger Bewegung und vollem körperlichen Einsatz. Doch allen drei männlichen Darstellern eignet ein und dasselbe Problem: sie lassen eine saubere Intonation vermissen. Da liegt einiges im Argen – was man von Alfia Kamalova nun überhaupt nicht sagen kann. Die junge Sängerin aus Estland, seit dieser Spielzeit am MiR engagiert, überzeugt dank ihres schönen, runden Timbres, ihrer lupenreinen Koloraturen, ihrer glanzvollen Ausstrahlung. Eine Stimme wie aus einem Guss. Joachim G. Maass ist in dieser Inszenierung „nur“ sprechender Weise präsent: als Bassa Selim verleiht er diesem die notwendige Dignität.

Mozart ist auch für die Neue Philharmonie Westfalen keine „Nebensache“, sondern erfordert Sensibilität und gute Konzentration. Die bekommt Dirigent Samuel Bächli trotz präzisen Dirigats am Premierenabend nicht immer. Das Prickeln, das Funkeln, die tiefen Emotionen – was schon die Stimmen nicht hundertprozentig erfahrbar machen, all das liefert auch nicht der Orchestergraben.

Elmar Gehlens Mozart-Arbeit wird vom Publikum durchaus akzeptiert. Zutiefst berührt von den menschlichen Schicksalen, die Mozart hier beschreibt, ist aber vermutlich niemand so wirklich...

Christoph Schulte im Walde

 








 
Fotos: Pedro Malinowski