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Fakten zur Aufführung 

THE TURN OF THE SCREW
(Benjamin Britten)
11. Juni 2005
(Premiere: 3.11.02)

Oper Frankfurt

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Das Innere ans postmoderne Plakat verraten.

Welch ein Jammer! Selten habe ich dieses intensive, innige, wirklich große Stück Opernliteratur derart luzide, auf jede Farbe lauschend und sie schildernd musiziert gehört wie an diesem Samstagabend in Frankfurt am Main. Mit leichter, zugleich sich der ganzen Dramatik bewusster Hand dirigiert Karen Kamensek das aus nur dreizehn Instrumentalsolisten bestehende Orchester und erreicht dabei eine akustische Fülle, gegen die manch spätromantische Besetzung wie ein Pappkarton wirkt.

Dazu der helle, (boshafterweise) engelhafte Ton des Prologsängers (Lars Erik Jonsson), der viktorianische, dabei nie moralisch falsche, eben ‚nur’ erotisch verängstigte und zugleich (wunderschön) hysterische Gesang der Gouvernante (Joan Rodgers), ganz zu schweigen von dem suggestiven Klang, über den Quint (ebenfalls Lars Erik Jonsson) verfügt, Mrs. Groses (Sonja Mühleck) verhärmt-tiefe Stimme, das derart gutturale Melos Miss Jessels (Monika Krause), dass man bisweilen an den Klang ‚schwarzer’ Stimmen erinnert wird – und dann die beiden Kinder noch (Thilo Braun und Heike Heilmann)… ich möchte gar nicht aufhören zu schwärmen, wäre da nicht ---

- ja wäre da nicht eine Inszenierung, der man zurufen möchte: „Dieser beschissene Symbolismus!” – dieses unnötige szenische, um mit Adorno zu sprechen, Zupfen am Ärmel der Publikums: „Merkst du’s, wie verklemmt die ist?!” Und dann noch, logisch, man hat es aber auch so was von satt: Kommt der Tod, öffnet sich ein blutroter Spalt (der - noch weiß da - zuvor Kircheneingang war), durch welchen Quint den toten Miles davonträgt und statt des gestorbenen Kindes, um das die Gouvernante weint, die ja wirklich nicht weiß, was sie angerichtet hat… statt des gestorbenen Kindes also wird ihr ein nackter Mann unterschoben, damit auch jeder ja merkt, worum das Musikwerk sich für sie dreht… und damit ist alle Trauer dahin und statt des erlösenden Aktes, der dieser Frau ebenso zu gönnen gewesen wäre wie er ihr versagt bleibt, ist nichts als der moralische Zeigefinger eines Regisseurs erigiert, der Christian Pade heißt und das Publikum um etwas gebracht hat, das Traurigkeit über schuldlose Schuld zu nennen wäre. Nicht der bühnenbildnerische Symbolismus an sich ist das Problem, sondern, zumal in seiner im Doppelsinn blendenden Designer-Glätte, dass er bei Britten so scheußlich unangebracht ist.

Alexander Lintls kalter Ästhetizismus stülpt nämlich rein selbstherrlich (und leer) über die prüde Enge die seelenlose Weite falsch verstanden postmodernen Gebäudebaus und macht aus dem englischen Landhaus gleichsam die verlogene Außenansicht der Frankfurter Kunsthalle Schirn, wodurch sich eine Art modernkapitalistische Grande Opéra bebildert, die Britten aus sehr guten Gründen eben nicht gemeint hat. Darin haben Menschen keinen Platz. Dennoch treten die Figuren in historisierender Tracht auf, doch schon das Blitzen an den Ohren der Gouvernante täuscht großbürgerliche Abkunft vor, wo nichts als gepfarrertes Kleinbürgertum war.

Bereits, dass aus dem (hier offenbar vom Off her gesungenen) Prolog sich ein Statist herausschält, im Wortsinn, sich des Umhang entblößend, um als nackter Heros, der wohl erotische Bedrohung und für die Kinder irrerweise die verlorene Unschuld darstellen soll, über die Bühne zu schreiten, versucht etwas symbolisch zu bedeuten, das sowohl bei Henry James als auch Piper/Britten ganz bewusst in der Ambivalenz blieb. Nur das nämlich hält die Beklemmung, nicht etwa der direkte voyeuristische Verweis, der nach wenigstens dreißig Jahren theaterdramturgischer FKK-Geschichte sowieso nichts mehr bringt als ein ziemlich müdes, bereits angeödetes Schulterzucken. Außerdem machen sich Geister im Frankfurter Architekturmuseum nicht gut; sie finden da keinen Unterschlupf, der sie davor bewahrte, affirmativ gestylt zu werden.

Und nicht zuletzt: Hier wird die Gouvernante denunziert, die doch ebenso verloren ist wie die Kinder es sind. Daher ja gerade rührt die Tragik des Stücks. Völlig unsensibel opfert Pade die Verlorenheit dieser Frau – das Recht ihrer Verlorenheit – einer ziemlich wohlfeilen Art Aufklärung, die zwar chic ist, doch ebenso unmenschlich – nämlich arrogant-allwissend – daherkommt, wie dieses geschönte Bühnenbild völlig von der dramatischen Vorlage absieht – zugunsten einer metaphorischen Abstraktion, die bei Wagner angemessen sein mag, bei Britten indes den Konflikt lackhaft zuschmiert. Offenbar hatte Herr Lintl Geld zu verballern.

Und dennoch: Da bleiben diese Musik und ihre Interpretation speziell hier in Frankfurt. Ich wünschte mir davon eine Aufnahme, um sie immer und immer wieder zu hören. Nie zuvor habe ich diese Partitur derart gut langsam realisiert gehört – atemlos langsam. Das ist fast nicht zu glauben, welche Schönheit orchestral dabei herauskommt. Und wenn auch Joan Rodgers’ Gouvernante darstellerisch nicht an die sich furchtbar beklemmend identifizierende Intensität Grun-Brit Barkmins heranreicht, die die Partie an der Komischen Oper Berlin sang, so muss eben gesagt sein, dass ihr die Inszenierung das völlig unmöglich macht: Denn sie muss ihr „Malo Malo” objektlos singen. Das hat ihr der Regisseur angetan. Er hat sie um ihre auch sängerisch verzweifelte Identität gebracht. Etwas Schlimmeres ist über so einen kaum zu sagen. Denn wer die Figuren nicht achtet, achtet auch ihre Darsteller nicht. So einer sieht nur sich.

Eine musikalisch derart große, eine doch so vergebliche Aufführung also, dass man ganz wütend wird. Ach, es ist schwer, gerecht zu sein. Und diese Bemerkung geht an mich. (anh)


Fotos: © Andreas Pohlmann