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Fakten zur Aufführung 

LA FINTA SEMPLICE
(Wolfgang A. Mozart)
22. Juni 2006 (Premiere)

Oper Frankfurt
(Bockenheimer Depot)

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Musik

Gesang

Regie

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Seifenoper mit tollem Soundtrack

Don Cassandro und Don Polidoro sind zwei wohlhabende Brüder. Ihre Schwester Giacinta und deren Kammerzofe Ninetta wollen gerne heiraten. Und zwar zwei Soldaten: den ungarischen Hauptmann Fracasso und dessen Sergeanten Simone. Das stößt auf den Widerstand des Hausherrn Don Cassandro, der ist nämlich Frauenfeind und hält die Beziehung zum anderen Geschlecht für den Untergang jedes Mannes. Also wird Rosina, Schwester des Fracasso und obendrein eine ungarische Adelige, eingespannt. Sie soll die Herzen der beiden verschrobenen Brüder erweichen, um vor allem Don Cassandros Widerstand gegen die Verheiratung von Giacinta und Ninetta zu brechen. Natürlich gelingt ihr das auch zugleich, denn kein Mann kann ihr widerstehen.

Soweit die einleuchtende und lebensnahe Geschichte, die Mozarts früher Oper „La Finta Semplice“ zugrunde liegt. Obendrein wartet das Libretto von Marco Coltellini nach einer Vorlage des berühmten Theaterdichters Carlo Goldoni mit etlichen weiteren Verstrickungen sowie ein paar harmlosen Schlüpfrigkeiten und Blödeleien auf.

Mozarts früher Versuch, eine Oper in der italienischen Buffo Manier zu schreiben – er war zu diesem Zeitpunkt zwölf Jahre alt -, gehört sicherlich nicht zu jenen Werken, die man als vergessenen Schatz der Opernliteratur bezeichnen müsste. Dennoch zeigte die Oper Frankfurt in ihrer Zweitspielstätte Bockenheimer Depot, dass es trotzdem Sinn macht, sich auch mit einem schwächeren Mozart-Werk auseinander zusetzen. Denn entstanden ist ein durchaus kurzweiliger Abend, der zwischen allem Huch! und Hach! und Hopsala! sowie dem im Spannungsfeld Mann – Frau obligatorischen Gequiekte und Gekreische eine handwerklich solide umgesetzte Seifenoper mit teilweise ergreifend schöner Musik verband.

Und mit der Musik soll diese Besprechung auch begonnen werden – fällt diese doch bei langatmigen Beschreibungen der Szene leider oftmals zu sehr hinten runter. Das wäre speziell in diesem Fall eine grobe Ungerechtigkeit. Dass Julia Jones eine herausragende Mozart-Dirigentin ist, muss an dieser Stelle einfach noch mal mit Nachdruck gesagt werden, könnte man sie doch augenzwinkernd und gemäß dem Djuna Barnes-Diktum auch als „berühmteste Unbekannte ihrer Zeit“ bezeichnen. Denn obgleich sie regelmäßig an den großen Häusern in Berlin und Wien gastiert, bei den Salzburger Festspielen dirigierte und häufig in Frankfurt präsent ist – unter anderem 2003 gemeinsam mit Regisseur Christof Loy die überragende „Entführung aus dem Serail“ verantwortete –, ist sie wohl nach wie vor dem Publikum weit weniger ein Begriff als etwa Medienlieblinge wie Daniel Harding oder Philippe Jordan. Wie vertraut ihr die Mozartsche Klangrede ist und was sie dabei für einen Gestaltungswillen entwickelt, wie sie eine klare Vorstellung von jeder noch so kleinen Dynamikveränderung zu haben scheint und wie dabei auf einmal aus einer doch relativ schlichten Komposition (die durch einige Sinfonieteile bzw. Arien die Mozart ungefähr zur selben Zeit aber für andere Zwecke schrieb ergänzt wurde) die ganze Kunst Mozarts erspürbar wird – dafür muss man der Dirigentin einfach dankbar sein. Das Frankfurter Museumsorchester folgte ihrem – ohne Taktstock, aber mit viel Körpereinsatz demonstrierten – Willen hochkonzentriert und bewies erneut, welch erstklassiges Mozartorchester es in den letzten Jahren geworden ist: Flexibel und wendig einerseits, zärtlich und innerlich andererseits – stets mit einem warmen und trotzdem transparenten Klangbild. Besser geht es eigentlich kaum.

Während das Orchester in Feinheiten schwelgte, ging es auf der Bühne eher etwas gröber zu. Regisseur Christof Loy und Ausstatter Herbert Murauer nutzten die Bedingungen des ehemaligen Straßenbahndepots in Frankfurt Bockenheim gut aus, indem sie das Spiel der sieben Akteure und Akteurinnen nicht nur auf der Bühne stattfinden ließen – das Umkleiden in der zum Publikum offenen Künstlergarderobe seitlich der Bühne war genauso Bestandteil der Aufführung. Dadurch entsteht ein Spiel im Spiel: Sieben junge Leute spielen sich und spielen sieben junge Leute zu einer anderen Zeit. Sie alle sind auf vielfältige Weise amourös verstrickt – eine Art Cosi fan Tutte-Vorläufer, nur mit einer noch unwahrscheinlicheren und noch komplizierteren Handlung. Die Geschichte des misogynen und krankhaft geizigen Edelmannes Don Cassandro und dessen trotteligen und gutgläubigen Bruders Don Polidoro, die von ihrer Schwester Giacinta und der Zofe Ninetta in eine Intrige verwickelt werden, die dazu dient, die beiden „Helden“ selbst durch Liebe dazu zubringen, den Ehewünschen der beiden genannten Damen zuzustimmen, ist obendrein wenig originell und besitzt keinerlei Tiefgang.

Dass Loy trotzdem versucht, diesen aufzuspüren und den Personen eine Individualität zu verleihen, ehrt ihn. Genauso ehrenwert ist sein Versuch, die Gefühle der Protagonisten herauszuarbeiten und als ewige, somit auch heutige, zu präsentieren. So etwa die Zerrissenheit der Intrigantin Rosina, wenn sie zu einer Entscheidung für einen der beiden Brüder genötigt wird (Hand aufs Herz: Einer Frau von heute mag die Wahl zwischen den beiden vorkommen wie die Wahl zwischen Pest oder Cholera – Gesang hin, Gesang her). Doch Loys psychologischer Blick, der sich bei anderen Mozartwerken wie der „Entführung“ oder dem „Titus“ so bewährt hat, prallt hier weitestgehend an der Oberflächlichkeit des Stückes und der Charaktere ab.

Dennoch: Wer einen kurzweiligen Abend in einer schönen und intimen Atmosphäre verbringen möchte, sollte sich auf jeden Fall eine Finta-Aufführung gönnen. Das Publikum im fast ausverkauften Saal ging jedenfalls aufmerksam und angeregt mit und spendete am Ende allen Beteiligten warmen Beifall. Darüber hinaus befindet sich die Produktion mit jungen und engagierten Sängern, unter denen besonders Alexandra Lubchansky als Rosina und Nicolas Phan als Don Polidoro hervorstachen sowie dem exzellenten Orchester unter Julia Jones musikalisch auf hohem Niveau. (sr)


Fotos: © Monika Rittershaus