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Verführung im Serail
Der junge spanische Edelmann Belmonte möchte seine Braut Konstanze, deren
Zofe und seinen Diener aus dem Serail des türkischen Würdenträgers Bassa
Selim befreien. Im letzten Augenblick scheitert die Flucht; die Gefangenen
werden vor den Bassa geführt. Dieser lässt überraschend Milde walten und
schenkt ihnen die Freiheit. Das ist die recht übersichtliche Handlung
der gerne plüschig als Türkenoper oder verzerrt als Parabel um Fremdenhass
oder Geschlechterkampf inszenierten Mozart-Oper.
Nun hat sich das "Opernhaus des Jahres 2003" daran gewagt, womit sich
vor nicht allzu langer Zeit München und Salzburg noch den Ruf besudelt
haben. Diese "Entführung aus dem Serail" ist aber gekennzeichnet von einem
typischen Frankfurter Pragmatismus. Denn die Inszenierung gibt es schon
seit vier Jahren - und zwar am Theatre Royal de la Monnaie in Brüssel.
In Frankfurt hat man diese nun recycelt. Durch dieses schlaue Prinzip
namens Koproduktion - das ebenfalls bei der aktuellen Lulu-Produktion
angewandt wurde - kommt man trotz angespannter Finanzlage auf eine erstaunlich
hohe Anzahl an Neuproduktionen.
Christoph Loy - kürzlich zum "Regisseur des Jahres 2003" gewählt - vermeidet
bei seiner "Entführung aus dem Serail" jede gewöhnliche Pauschalisierung:
Weder steht für ihn der Kultur-Konflikt im Zentrum, noch der zwischen
Mann und Frau. Zwar definieren Kultur und Geschlecht soziale Rahmenbedingungen,
doch die werden in der Folge permanent in Frage gestellt. Hier geht es
vielmehr um die komplexen, oft widerstreitenden Gefühle der vier Männer
und zwei Frauen. Liebe ist ein sonderbar Ding und Tugend sowie Großmut
muss man sich da schon gewaltig abringen. Dadurch, dass die fast komplette
Urfassung des Librettos vorgetragen wird, sind die Dialoge erheblich länger
geworden und die unterschiedlichen Charaktere treten deutlicher hervor.
Plötzlich stellt sich die Frage, ob es Konstanze nur um ihre viel beschworene
Treue zum Geliebten oder - für eine moderne Frau wesentlich plausibler
- um ihr vitales Interesse an ihrer persönlichen Freiheit geht.
Loy zeigt Konstanze als durchaus verführbare Frau. Wenn sie sich dem charismatischen
Bassa Selim bis zum Schluss entzieht, so liegt das eher an seiner "orientalischen"
Haltung gegenüber "Weibern". Und obwohl sie den Avancen des Bassa Selim
widersteht, so ist doch Belmonte als potenzieller Ehemann nach dieser
"Verführung im Serail" sicherlich kaum mehr besonders faszinierend. In
einen ähnlichen Konflikt wird auch Blonde gestellt. Zwar ist ihr Pedrillo,
wie sie dem mürrischen und etwas tölpeligen Osmin an den Kopf wirft, wahrlich
niedlich, dennoch: Auch Pedrillo ist eigentlich langweilig. Osmins Liebe
zu Blonde hingegen ist ehrlich, wenn er auch den Umgang mit der eigensinnigen
und selbstständigen kleinen Engländerin erst noch erlernen muss. Letztlich
sind es die beiden orientalischen Männer Osmin und Bassa Selim und die
beiden "westlichen" Frauen Blonde und Konstanze, die aus dieser Episode
verändert hervorgehen. Belmonte und Pedrillo bleiben von alle dem in ihrem
Innersten ziemlich unberührt.
Diese wunderbar aktuelle Beziehungskomödie, die wie alle guten Komödien
auf einen ernsten Kern verweist, gewinnt erst durch die kongeniale Verbindung
von Text, Handlung, Musik und Gesang an Spannung. Das dies in Frankfurt
gelingt liegt in nicht geringem Maße an der Dirigentin Julia Jones. Ihr
klares, wirbeliges, nuanciertes und mit psychologischem Feingefühl versehenes
Dirigat sorgt dafür, dass die Teile zu einem organischen Ganzen werden,
zu Musik-Theater im allerbesten Sinne. Darüber hinaus haben die Sänger
und Sängerinnen in ihr eine stets aufmerksame Begleiterin.
Unter den sängerischen und darstellerischen Leistungen stechen vor allem
die klangschöne, klar artikulierende und auch in den Koloraturen traumwandlerisch
sichere Konstanze von Diana Damrau sowie der überhaupt nicht lächerliche
Osmin von Jaco Huijpen hervor. Auch die Sprechrolle des Bassa Selim ist
mit Christoph Quest hervorragend besetzt - dieser Bassa ist keine Karikatur
in Pluderhosen, sondern ein charmanter aufgeklärter Herrscher, dem sein
aussichtsloses Begehren immer wieder Rückfälle in die rasende Willkür
beschert. Auch Kerstin Avemo als Blonde kann als eine Idealbesetzung gelten.
Peter Marsh als Pedrillo und Daniel Kirch als Belmonte bleiben hingegen
auch stimmlich eher Randfiguren.
Im von Herbert Murauer entworfenen Setting kommt der Orient nur in einigen
Details zum Vorschein - ein bisschen Wüstensand auf dem Bühnenboden, einen
Fes auf Osmins Kopf. Die Kostüme zeigen, dass sich der Orient und der
Okzident hier nicht allzu weit voneinander entfernt sind. Bassa und Osmin
lassen sich auch mal im Smoking sehen, während Pedrillo schon stark assimiliert
zu sein scheint. Im bunten Käppi und knittrigen Leinen sieht er aus, als
ginge es ihm unter den neuen Umständen in der fernen Türkei gar nicht
so schlecht.
Das Frankfurter Publikum war offensichtlich und uneingeschränkt begeistert.
Bereits zwischen den einzelnen Szenen gab es reichlich Applaus. Diana
Damrau und Julia Jones sowie das überaus konzentrierte Frankfurter Museumsorchester
wurden am Ende mit großem Applaus bedacht. Doch auch Christoph Loy und
Ausstatter Herbert Murauer wurden herzlich empfangen und kamen fast ohne
die obligatorischen Regie-Buhs aus. (sr) |
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