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Fakten zur Aufführung 

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL
(Wolfgang A. Mozart)
19. Oktober 2003 (Premiere)

Oper Frankfurt

Points of Honor                      

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Verführung im Serail

Der junge spanische Edelmann Belmonte möchte seine Braut Konstanze, deren Zofe und seinen Diener aus dem Serail des türkischen Würdenträgers Bassa Selim befreien. Im letzten Augenblick scheitert die Flucht; die Gefangenen werden vor den Bassa geführt. Dieser lässt überraschend Milde walten und schenkt ihnen die Freiheit. Das ist die recht übersichtliche Handlung der gerne plüschig als Türkenoper oder verzerrt als Parabel um Fremdenhass oder Geschlechterkampf inszenierten Mozart-Oper.

Nun hat sich das "Opernhaus des Jahres 2003" daran gewagt, womit sich vor nicht allzu langer Zeit München und Salzburg noch den Ruf besudelt haben. Diese "Entführung aus dem Serail" ist aber gekennzeichnet von einem typischen Frankfurter Pragmatismus. Denn die Inszenierung gibt es schon seit vier Jahren - und zwar am Theatre Royal de la Monnaie in Brüssel. In Frankfurt hat man diese nun recycelt. Durch dieses schlaue Prinzip namens Koproduktion - das ebenfalls bei der aktuellen Lulu-Produktion angewandt wurde - kommt man trotz angespannter Finanzlage auf eine erstaunlich hohe Anzahl an Neuproduktionen.

Christoph Loy - kürzlich zum "Regisseur des Jahres 2003" gewählt - vermeidet bei seiner "Entführung aus dem Serail" jede gewöhnliche Pauschalisierung: Weder steht für ihn der Kultur-Konflikt im Zentrum, noch der zwischen Mann und Frau. Zwar definieren Kultur und Geschlecht soziale Rahmenbedingungen, doch die werden in der Folge permanent in Frage gestellt. Hier geht es vielmehr um die komplexen, oft widerstreitenden Gefühle der vier Männer und zwei Frauen. Liebe ist ein sonderbar Ding und Tugend sowie Großmut muss man sich da schon gewaltig abringen. Dadurch, dass die fast komplette Urfassung des Librettos vorgetragen wird, sind die Dialoge erheblich länger geworden und die unterschiedlichen Charaktere treten deutlicher hervor. Plötzlich stellt sich die Frage, ob es Konstanze nur um ihre viel beschworene Treue zum Geliebten oder - für eine moderne Frau wesentlich plausibler - um ihr vitales Interesse an ihrer persönlichen Freiheit geht.

Loy zeigt Konstanze als durchaus verführbare Frau. Wenn sie sich dem charismatischen Bassa Selim bis zum Schluss entzieht, so liegt das eher an seiner "orientalischen" Haltung gegenüber "Weibern". Und obwohl sie den Avancen des Bassa Selim widersteht, so ist doch Belmonte als potenzieller Ehemann nach dieser "Verführung im Serail" sicherlich kaum mehr besonders faszinierend. In einen ähnlichen Konflikt wird auch Blonde gestellt. Zwar ist ihr Pedrillo, wie sie dem mürrischen und etwas tölpeligen Osmin an den Kopf wirft, wahrlich niedlich, dennoch: Auch Pedrillo ist eigentlich langweilig. Osmins Liebe zu Blonde hingegen ist ehrlich, wenn er auch den Umgang mit der eigensinnigen und selbstständigen kleinen Engländerin erst noch erlernen muss. Letztlich sind es die beiden orientalischen Männer Osmin und Bassa Selim und die beiden "westlichen" Frauen Blonde und Konstanze, die aus dieser Episode verändert hervorgehen. Belmonte und Pedrillo bleiben von alle dem in ihrem Innersten ziemlich unberührt.

Diese wunderbar aktuelle Beziehungskomödie, die wie alle guten Komödien auf einen ernsten Kern verweist, gewinnt erst durch die kongeniale Verbindung von Text, Handlung, Musik und Gesang an Spannung. Das dies in Frankfurt gelingt liegt in nicht geringem Maße an der Dirigentin Julia Jones. Ihr klares, wirbeliges, nuanciertes und mit psychologischem Feingefühl versehenes Dirigat sorgt dafür, dass die Teile zu einem organischen Ganzen werden, zu Musik-Theater im allerbesten Sinne. Darüber hinaus haben die Sänger und Sängerinnen in ihr eine stets aufmerksame Begleiterin.

Unter den sängerischen und darstellerischen Leistungen stechen vor allem die klangschöne, klar artikulierende und auch in den Koloraturen traumwandlerisch sichere Konstanze von Diana Damrau sowie der überhaupt nicht lächerliche Osmin von Jaco Huijpen hervor. Auch die Sprechrolle des Bassa Selim ist mit Christoph Quest hervorragend besetzt - dieser Bassa ist keine Karikatur in Pluderhosen, sondern ein charmanter aufgeklärter Herrscher, dem sein aussichtsloses Begehren immer wieder Rückfälle in die rasende Willkür beschert. Auch Kerstin Avemo als Blonde kann als eine Idealbesetzung gelten. Peter Marsh als Pedrillo und Daniel Kirch als Belmonte bleiben hingegen auch stimmlich eher Randfiguren.

Im von Herbert Murauer entworfenen Setting kommt der Orient nur in einigen Details zum Vorschein - ein bisschen Wüstensand auf dem Bühnenboden, einen Fes auf Osmins Kopf. Die Kostüme zeigen, dass sich der Orient und der Okzident hier nicht allzu weit voneinander entfernt sind. Bassa und Osmin lassen sich auch mal im Smoking sehen, während Pedrillo schon stark assimiliert zu sein scheint. Im bunten Käppi und knittrigen Leinen sieht er aus, als ginge es ihm unter den neuen Umständen in der fernen Türkei gar nicht so schlecht.

Das Frankfurter Publikum war offensichtlich und uneingeschränkt begeistert. Bereits zwischen den einzelnen Szenen gab es reichlich Applaus. Diana Damrau und Julia Jones sowie das überaus konzentrierte Frankfurter Museumsorchester wurden am Ende mit großem Applaus bedacht. Doch auch Christoph Loy und Ausstatter Herbert Murauer wurden herzlich empfangen und kamen fast ohne die obligatorischen Regie-Buhs aus. (sr)






Fotos: © Monika Rittershaus