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Fakten zur Aufführung 

SIMON BOCCANEGRA
(Giuseppe Verdi)
1. Dezember 2007

Oper Frankfurt


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Leidens-Bilder

Die revolutionäre Kraft des Risorgimento ist versiegt, Verdi revidiert (mit Arrigo Boito!) 1881 seinen Simon Boccanegra, sieht offenbar nicht mehr die nationale Botschaft als Fokus, entwickelt vielmehr Bilder des – durchaus auch politisch begründeten – individuellen Leidens.

Die Bühne ist leer, Stahlkonstruktionen überbrücken sie, stählerne Treppen führen nach außen, ein gewaltiger Meeres-Prospekt bildet die Rückwand: Johannes Leiacker vermittelt kalte Distanz, schafft Räume für isoliertes Leiden auf freier Fläche.

Christof Loy präsentiert den Chor – ganz in Schwarz – zu Beginn in fast fünfminütiger Starre: es geht um Leben und Tod, und Verdis Musik kommt tragik-schwanger aus der unheilvollen Stille; der beklemmende Schluss greift Bild und Musik auf – das Leiden hat eben kein Ende. Der Doge, Fiesco, sogar der intrigante Paolo, Adorno und Maria/Amelia erleben ihre Passionen, starr verharrend, mit existentieller Konzentration. Christof Loy gelingen Szenen von extremer Intensität – und dabei permanent die altersweise Musik Verdis als moribunde Disposition verinnerlichend.

Mark Shanahan interpretiert mit dem Frankfurter Museumsorchester dieses hochemotionale Verständnis der Verdi-Komposition mit hingebungsvoller Sensibilität, fast zärtlichem Eingehen auf die elementaren Gefühle der Protagonisten, lässt Zeit für Phasen des Verinnerlichens – steigert die emotionale Spannung des Mit-Leidens, hält diesen Bogen über den gesamten Abend, und erreicht dieses geradezu wundersame musikalische Erleben durch das konzentriert-gefühlvolle Mitwirken aller Musiker.

Die Solisten der Frankfurter Oper realisieren diese Konzentration von Emotionen und dem Insistieren auf der Würde der Charaktere mit stupender Bühnen- und Gesangs-Kunst. Sie haben das starr-ausdrucksstarke Handeln verinnerlicht, brillieren nicht oberflächlich-spektakulär, sondern vermitteln Seelenkräfte in extremster Konzentration. Aber sie haben – natürlich – auch alle ihre großen Auftritte: Annalisa Raspagliosi als gequält-liebende Maria/Amelia mit einem luziden Sopran, der in allen Lagen differenzierte Gefühle bewegend artikulieren kann. Aleksandrs Antonenko, dem die Zwischentöne des Gabriele Adorno mit ergreifendem Spinto gelingen. Bálint Szabó verleiht dem Fiesco mit großartig-ausdrucksvollem Bass ambivalenten Charakter. Johannes Martin Kränzles mordlüsterner Paolo gewinnt durch kraftvoll-variablen Bariton glaubwürdige Statur. Dietrich Volle als Pietro und Ricardo Iturra als Hauptmann überzeugen in „kleineren“ Rollen. Und Zeljko Lucic ist ein faszinierender Boccanegra – was dieser begnadete Sänger-Darsteller als Persönlichkeit vermittelt, ist derzeit wohl unerreicht: Leidenschaft, unterdrückte Rachegelüste, Liebe zur Tochter, politische Ideale des Ausgleichs, Resignation, Todes-Ahnung – dies alles wird mit einer Stimme existenziell bedeutsam, die in ihrer klangschön-differenzierten Präsenz geradezu atemlos lauschen lässt, deren Klang noch stundenlang nachschwingt.

Im Frankfurter Opernhaus herrscht höchste Konzentration. Das Publikum folgt gebannt, ist sich offenbar dem Exzeptionellen der Aufführung bewusst – standing ovations am Schluss, und lange nachher noch reflektierende Gespräche über dieses überwältigende Ereignis. (frs)

 

 




Foto: Oper Frankfurt