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Fakten zur Aufführung 

PENTHESILEA
(Othmar Schoeck)
25. Juni 2003

Kleist-Festtage 2003
(Koproduktion Staatstheater Cottbus/Kleist Forum Frankfurt)

Points of Honor                      

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In Stücken reißen! Die Leiber und die Bühne

Othmar Schoecks Penthesilea als Co-Produktion des Staatstheaters Cottbus mit dem Kleistforum Frankfurt an der Oder Nein, er ist nach wie vor unerhört geblieben, Gerd Albrechts 1982 ausgestoßener Seufzer, es möge Othmar Schoecks "Penthesilea" nach Kleist doch endlich zum Hort genommen werden.

Nein, noch immer scheinen die Großen Opernbühnen von der eigenwilligen, problematischen Orchesterbesetzung - u.a. vier Violinen, aber zwei Klaviere und zehn Klarinetten - abgeschreckt zu sein und Sängerinnen und Sänger von der weit über alle deklamatorischen Anforderungen etwa bei Richard Strauss hinausgehende Anmutung, aus hochkonzentriertem Gesang in schwierigste kleistsche Deklamation zu "gleiten".

Anders als im Fall Schrekers oder Korngolds kann man ja den Schweizer Schoeck auch nicht aus einem Orkus ziehen, in den ihn die Nazis geworfen... er ist einfach nur Musiker, ein wenig hausbacken sogar, wenn auch meisterhaft in der Führung seiner bis ins Spätwerk der deutschen Romantik verpflichteten Lieder, in den Opern fast durchweg tonal gebunden, expressionistisch-experimentell nur in dieser Penthesilea. Mit kräftigen, klugen Strichen ist aus Kleists Drama ein Libretto gemacht, dass an jeder, wirklich jeder Stelle reinster Kleist geblieben ist. Und die Musik selber, sie löst sich völlig aus Schoecks komponierender Provinzialität und wird auf erschreckende Weise groß.

"Dies Werk ist der Giganten, meine Königin!" warnt allerdings Meroe. Denn Anlass des Dramas ist, wie so oft in Kunst, der Krieg. Das macht diese Oper unendlich und im Wortsinn unheimlich, dass es, da das Interesse der Intensität von Leben gilt, egal ist, auf welcher Frontseite sich jemand schlägt: Liebe und Leidenschaft und tiefe Tragödie lassen sich, gleichermaßen rein, bei Hamas-Kämpfern und israelischen Soldaten finden, bei Marines wie Iraki, bei Bosniern und Serben. Intensitäten bilden sich in Extremsituationen auf das allerschärfste aus: Das war der grausame Blick, den Kleist auf Menschen warf, und das ist der Blick, den ausgerechnet die Musik des weichen, schwärmerischen Othmar Schoeck erfasst und klingen lässt.

Es spricht sehr für seine hier von Strawinski und Berg beeinflusste musiktheatralische Kraft, dass das um sich schlagende, immer-große, immer überbordende Gefühl auch da nicht hysterisch, sondern existentiell wirkt, wo "Blut von Mund und Händen" fließt... und dass das auch noch dann unmittelbar gefühlt werden kann, wenn sich Sänger und Orchester, die durchaus keine Giganten sind, an diese Oper wagen. Bis angemessene Häuser begreifen, welch ein Werk hier vorliegt - aber man spielt unterdessen ja lieber Hawaii-Rosen -, ist kleinen, so mutigen Bühnen zu danken, wenn eines der ganz großen Opernwerke des frühen 20. Jahrhunderts nicht einfach verschwindet.

Zudem hatte Bernd Mottl eine einleuchtende Inszenierungsidee: Man beginnt mit gleichsam oratorischer Aufführung, Darsteller sämtlichst in Abendgarderobe, die Partituren teils in den vorgestreckten Armen... aber je weiter sich das tragödische Geschehen entwickelt, desto mehr löst sich die gebundene Darstellung auf, Notenständer werden umgeworfen, Stühle knallen zur Seite, die Akteure verlieren ihre konzertgemäße Haltung, und zum Schluss beherrscht die Bühne eine Verwüstung, die dem Krieg auch entspricht und eben jeder entfesselten Leidenschaft. "Verflucht das Herz, das sich nicht mäß'gen kann!"

Mit den geringen Mitteln, über die solche Häuser verfügen, wird sogar ein wenig Theaterzauber veranstaltet, Emporen verschieben sich, die Kulisse zerreißt, Rauch quillt übers Podium, Blätter wehen... Das ist alles sehr gelungen. Weniger überzeugend allerdings die Kippe von musikalischem Vortrag in Aktion, da hält man sich eben doch noch an den Notenbüchern fest, und der Kuss, mit dem Penthesilea den vermeintlich gefangenen Achilles grüßt, ist eher peinlich. Wer diese Musik sowieso schätzt, sieht darüber hinweg und schließt schon mal die Augen. Anderen hingegen, die das Werk erst kennenlernen, steht die Szene im Weg; es sind ja nur Liebende darin geübt, aus der Absicht Gelungenes zu imaginieren.

Das Ensemble sang auf ziemlich gleichem Niveau; notwendigerweise mehr auf Ausdruck als auf Klang bedacht. Dadurch wurde die ohnedies heikle Melodik der Gesangslinien Schoecks mitunter verpasst, und da die Orchestermusiker des Brandenburgischen Staatsorchesters sowie der Opera na Zamku Szczezin ebenfalls zu kämpfen hatten, zumal sie in der Mehrzahl waren, öffneten die Sänger bisweilen fast ungehört den Mund. Carola Fischers Penthesilea sparte anfangs hörbar Kraft, sang sich dann aber schön, Volker Maria Rabes Achill war allezeit präsent, nur sein Spiel für einen Kriegshelden zu schüchtern-pubertär (immerhin hat der Mann einen Hektor niedergemetzelt und auch noch wütig die Leiche geschleift). Innig schwesterlich Sabine Paßow als Prothoe, deutlich überfordert allerdings die Oberpriesterin Petra Golbs'. Der Chor stellte so kräftig den nötigen Kriegslärm her, dass die sowohl Handlung als auch Musik strukturierende Intonierung des Schlachtrufs - nämlich der Name Penthesileas - an der entscheidenden Stelle unterging, die den tragischen Umschlag von Liebeserfüllung in Liebesversagen rhythmisch grundiert und das Geschehen der übermenschlichen Engführung von sich ineinander Versenken und einander Zerstückeln entgegentreibt.

Mit viel Aufmerksamkeit und die realmenschlichen Nervositäten sicherlich beruhigend dirigierender Präsenz wurde der Abend von Reinhard Petersen geleitet. (anh)