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In Stücken reißen! Die Leiber und
die Bühne
Othmar Schoecks Penthesilea als Co-Produktion des Staatstheaters Cottbus
mit dem Kleistforum Frankfurt an der Oder Nein, er ist nach wie vor unerhört
geblieben, Gerd Albrechts 1982 ausgestoßener Seufzer, es möge Othmar Schoecks
"Penthesilea" nach Kleist doch endlich zum Hort genommen werden.
Nein, noch immer scheinen die Großen Opernbühnen von der eigenwilligen,
problematischen Orchesterbesetzung - u.a. vier Violinen, aber zwei Klaviere
und zehn Klarinetten - abgeschreckt zu sein und Sängerinnen und Sänger
von der weit über alle deklamatorischen Anforderungen etwa bei Richard
Strauss hinausgehende Anmutung, aus hochkonzentriertem Gesang in schwierigste
kleistsche Deklamation zu "gleiten".
Anders als im Fall Schrekers oder Korngolds kann man ja den Schweizer
Schoeck auch nicht aus einem Orkus ziehen, in den ihn die Nazis geworfen...
er ist einfach nur Musiker, ein wenig hausbacken sogar, wenn auch meisterhaft
in der Führung seiner bis ins Spätwerk der deutschen Romantik verpflichteten
Lieder, in den Opern fast durchweg tonal gebunden, expressionistisch-experimentell
nur in dieser Penthesilea. Mit kräftigen, klugen Strichen ist aus Kleists
Drama ein Libretto gemacht, dass an jeder, wirklich jeder Stelle reinster
Kleist geblieben ist. Und die Musik selber, sie löst sich völlig aus Schoecks
komponierender Provinzialität und wird auf erschreckende Weise groß.
"Dies Werk ist der Giganten, meine Königin!" warnt allerdings Meroe. Denn
Anlass des Dramas ist, wie so oft in Kunst, der Krieg. Das macht diese
Oper unendlich und im Wortsinn unheimlich, dass es, da das Interesse der
Intensität von Leben gilt, egal ist, auf welcher Frontseite sich jemand
schlägt: Liebe und Leidenschaft und tiefe Tragödie lassen sich, gleichermaßen
rein, bei Hamas-Kämpfern und israelischen Soldaten finden, bei Marines
wie Iraki, bei Bosniern und Serben. Intensitäten bilden sich in Extremsituationen
auf das allerschärfste aus: Das war der grausame Blick, den Kleist auf
Menschen warf, und das ist der Blick, den ausgerechnet die Musik des weichen,
schwärmerischen Othmar Schoeck erfasst und klingen lässt.
Es spricht sehr für seine hier von Strawinski und Berg beeinflusste musiktheatralische
Kraft, dass das um sich schlagende, immer-große, immer überbordende Gefühl
auch da nicht hysterisch, sondern existentiell wirkt, wo "Blut von Mund
und Händen" fließt... und dass das auch noch dann unmittelbar gefühlt
werden kann, wenn sich Sänger und Orchester, die durchaus keine Giganten
sind, an diese Oper wagen. Bis angemessene Häuser begreifen, welch ein
Werk hier vorliegt - aber man spielt unterdessen ja lieber Hawaii-Rosen
-, ist kleinen, so mutigen Bühnen zu danken, wenn eines der ganz großen
Opernwerke des frühen 20. Jahrhunderts nicht einfach verschwindet.
Zudem hatte Bernd Mottl eine einleuchtende Inszenierungsidee: Man beginnt
mit gleichsam oratorischer Aufführung, Darsteller sämtlichst in Abendgarderobe,
die Partituren teils in den vorgestreckten Armen... aber je weiter sich
das tragödische Geschehen entwickelt, desto mehr löst sich die gebundene
Darstellung auf, Notenständer werden umgeworfen, Stühle knallen zur Seite,
die Akteure verlieren ihre konzertgemäße Haltung, und zum Schluss beherrscht
die Bühne eine Verwüstung, die dem Krieg auch entspricht und eben jeder
entfesselten Leidenschaft. "Verflucht das Herz, das sich nicht mäß'gen
kann!"
Mit den geringen Mitteln, über die solche Häuser verfügen, wird sogar
ein wenig Theaterzauber veranstaltet, Emporen verschieben sich, die Kulisse
zerreißt, Rauch quillt übers Podium, Blätter wehen... Das ist alles sehr
gelungen. Weniger überzeugend allerdings die Kippe von musikalischem Vortrag
in Aktion, da hält man sich eben doch noch an den Notenbüchern fest, und
der Kuss, mit dem Penthesilea den vermeintlich gefangenen Achilles grüßt,
ist eher peinlich. Wer diese Musik sowieso schätzt, sieht darüber hinweg
und schließt schon mal die Augen. Anderen hingegen, die das Werk erst
kennenlernen, steht die Szene im Weg; es sind ja nur Liebende darin geübt,
aus der Absicht Gelungenes zu imaginieren.
Das Ensemble sang auf ziemlich gleichem Niveau; notwendigerweise mehr
auf Ausdruck als auf Klang bedacht. Dadurch wurde die ohnedies heikle
Melodik der Gesangslinien Schoecks mitunter verpasst, und da die Orchestermusiker
des Brandenburgischen Staatsorchesters sowie der Opera na Zamku Szczezin
ebenfalls zu kämpfen hatten, zumal sie in der Mehrzahl waren, öffneten
die Sänger bisweilen fast ungehört den Mund. Carola Fischers Penthesilea
sparte anfangs hörbar Kraft, sang sich dann aber schön, Volker Maria Rabes
Achill war allezeit präsent, nur sein Spiel für einen Kriegshelden zu
schüchtern-pubertär (immerhin hat der Mann einen Hektor niedergemetzelt
und auch noch wütig die Leiche geschleift). Innig schwesterlich Sabine
Paßow als Prothoe, deutlich überfordert allerdings die Oberpriesterin
Petra Golbs'. Der Chor stellte so kräftig den nötigen Kriegslärm her,
dass die sowohl Handlung als auch Musik strukturierende Intonierung des
Schlachtrufs - nämlich der Name Penthesileas - an der entscheidenden Stelle
unterging, die den tragischen Umschlag von Liebeserfüllung in Liebesversagen
rhythmisch grundiert und das Geschehen der übermenschlichen Engführung
von sich ineinander Versenken und einander Zerstückeln entgegentreibt.
Mit viel Aufmerksamkeit und die realmenschlichen Nervositäten sicherlich
beruhigend dirigierender Präsenz wurde der Abend von Reinhard Petersen
geleitet. (anh) |
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