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Fakten zur Aufführung 

WOZZECK
(Alban Berg)
26. Juni 2004 (Premiere)

Aalto-Theater Essen

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Musik

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Geometrisch, sinnstiftend, anregend

Alban Bergs Meisterwerk "Wozzeck" (nach Büchners Fragment) grassiert: allein in NRW kann sich der interessierte Besucher an wenigstens drei Häusern (u.a. auch Dortmund und Münster) eingehend mit dem Stück befassen, Vergleiche ziehen, sich erschüttern lassen von Thematik und Tonsprache. "Wozzeck" ist ein zeitloser Stoff. Nicht von ungefähr genießt Bergs Oper mittlerweile einen höheren Bekanntheitsgrad als die Büchner'sche Vorlage aus dem Jahre 1836.

Wer Bergs "Wozzeck" auf die Bühne bringen will, hat den Vorteil eines Stoffes von ungebrochener Aktualität. Bergs Musik (in enger Verbindung zu den Drei Orchesterstücken op.6, insbesondere "Reigen" und "Marsch") reflektiert mehr als die frühen Werke Arnold Schoenbergs oder Anton von Weberns die Strömungen der Zeit - Verbindungen zu den Werken von Richard Strauss und Gustav Mahler, aber auch von Giacomo Puccini und dessen "Madama Butterfly" (vgl. die Summchöre beider Werke!).

Diese Einbettung bei aller Eigenständigkeit der Berg'schen Tonsprache hörbar zu machen, war ganz offensichtlich das Anliegen von Stefan Soltesz, der das Orchester nach zögerlichem, etwas mattem Beginn um alle rhythmischen und agogischen Klippen souverän führte. Die Leistung kulminierte in den Ausbrüchen des Orchesters im 3. Akt (Invention über den Ton H und die orchestrale Reflexion über den Freitod Wozzecks).

Der Dirigent hatte in Johannes Schaaf einen höchst erfahrenen Inszenator, der an seinen Erfahrungen mit dem Werk in Stuttgart anknüpfen konnte. Die Personenführung gelang angesichts eines spielfreudigen Ensembles vorzüglich.

Die Bühnenbilder von Hans Dieter Schaal waren in ihrer Geometrie sinnstiftend und anregend, wenn auch Erinnerungen an Bilder und Plastiken von Erwin Heerich nicht weichen wollten. Das Licht-Design von Dave Cunningham korrespondierte vorteilhaft mit den kargen Formen und Farben. Erstaunlicherweise lieferten die Kostüme von Marie-Luise Strandt dazu einen durchgängig naturalistischen Kontrast.

Das Sängerensemble war den hohen Anforderungen Bergs ohne Einschränkungen gewachsen. Karikierungen (z.B. bei den Rollen des Hauptmanns, des Doktors oder der Handwerksburschen) hielten sich in engen Grenzen. Mit machtvoller Stimme, aber erschütternd im Ausdruck, gestaltete der dänische Bariton Johan Reuter die Titelrolle. Ihm zur Seite stand Martina Serafin als Marie, die der Rolle ihre strahlende, warme und biegsame Stimme lieh. Vor allem die Bibelszene zeigt die Ausdruckskraft und das Einfühlungsvermögen der Sängerin, die auch ihre blühende Erscheinung vorteilhaft einsetzen konnte. In der Gruppe der Chargen war die Intendanz zu kurzfristigen Umdispositionen genötigt. Nachdem Kenneth Riegel die Rolle des Hauptmanns zurückgegeben hatte, gelang es, den voluminösen, seine Trivialitäten prägnant deklamierenden Robert Wörle zu verpflichten.

In letzter Minute musste Jeffrey Dowd seine Mitwirkung in der Rolle des Tambourmajors wegen Erkrankung absagen. Für ihn sprang Jürgen Müller von der Komischen Oper Berlin (die ebenfalls einen "Wozzeck" im Repertoire führt) ein, der die Rolle stimmlich gut, in der Darstellung umständehalber eher zurückhaltend und somit weniger gockelhaft als sonst bewältigte. Der Doktor des Marcel Rosca ließ bei guter stimmlicher Verfassung die spintisierende Umtriebigkeit der Figur etwas vermissen. Rainer Maria Röhr konnte die lyrische Anlage des Andres und damit den Kontrast zu Wozzeck nicht so recht verdeutlichen, da ihn seine inzwischen eng und gellend klingende Stimme stärker am Text orientiert sein ließ. Marie-Helen Joel (Margret), Almas Svilpa sowie Günter Kiefer (Handwerksburschen) und Herbert Hechenberger (Narr) rundeten das Ensemble pointiert ab.

Das Publikum feierte nicht nur die Sänger, sondern erstaunlicherweise auch das freundschaftlich verbunden antretende Leitungsteam mit anhaltenden, lautstarken Ovationen. Wer sich von Bergs "Wozzeck" ein Bild machen möchte, muss die Essener Aufführung besuchen (und - wenn möglich - auch die in Dortmund und Münster). (ph)