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Fakten zur Aufführung 

SIEGFRIED
(Richard Wagner)
10. Oktober 2009 (Premiere)

Aalto-Theater Essen


Points of Honor                      

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Öd, wüst und leer

Im ersten Akt fällt der Blick auf eine eigentümliche Bodenfläche voller Beulen wie kleine Inseln, auf denen Mime und Siegfried herumspringen. Begrenzt wird dieser unwirtliche Ort von hohen Backsteinmauern mit Bögen rechts und links, fast wie die Gewölbe einer riesigen großstädtischen Kanalisation. Rechts in der Ecke steht Mimes Schmiede, hier erweckt Siegfried die Reste von Nothung, seines Vaters Schwert, zu neuem Leben.
Nothung kommt auch gleich zum Einsatz - im zweiten Akt. Der beulige Untergrund entpuppt sich als Körper des Riesenwurms Fafner. Siegfried sticht zu, das Ungeheur bäumt sich noch einmal auf (da leistet die Essener Bühnentechnik schon beeindruckenden Effekt!). Haben die Protagonisten also die ganze Zeit lang auf des Riesen Rücken gelebt?
Aber was heißt „gelebt“? Regisseur Anselm Weber und sein Bühnenbildner Raimund Bauer verlagern Siegfried in eine fast endzeitliche Sphäre. Zivilisation ist nicht mehr, von Natur kaum noch eine Spur. Ist das die Zukunft?
Im dritten Akt der Bruch, so könnte man zumindest meinen: Wotan holt sich Erdas Standpauke vor dem geschlossenen Vorhang ab. Vier Stühle stehen vor dem samtenen Blau, ein Spalt breit ist dieses offen. Wotan kommt wie ein „ganz normaler“ Mensch im Anzug (und Blumenstrauß) daher, Erda als ermattete Sieche. Dann öffnet sich doch der Vorhang komplett, sichtbar werden die unendlichen und eisig anmutenden Weiten des Kosmos, herunter schwebt ein überdimensionaler Kohlebrocken: das Lager für Brünnhilde, die dort auf ihren Erlöser wartet.
Anselm Webers Lesart des Siegfried changiert eigentümlich zwischen pessimistischen Zukunftsvisionen, archaischen Anklängen an Mythologisches und dem Erzählen von Märchen über hässliche Zwerge und wundersame Waldvögel. Mime mit respektablen Rasta-Locken, Siegfried als naiver Bengel, der gern noch mal mit dem Brummkreisel spielt, Alberich als beklagenswertes Wachpersonal an zwei Krücken, der Wanderer als Papageno im Federkleid, aber komplett in Schwarz, Erda als Wrack, schließlich Brünnhilde im gelbweißen Brautkleid mit meterlanger Schleppe – alles hübsch anzuschauen. Ein konzises Konzept erschließt sich indes nicht. Und so stochert man eher im Nebel nach der Botschaft, die dieser dritte Tag des Bühnenfestspiels wohl transportieren könnte...
Musikalisch lief es da weit besser. Vor allem die „Giftzwerge“ konnten punkten: Oskar Hillebrand als leidender, aber immer noch hoffender Alberich und vor allem Rainer Maria Röhr, der ein ausgefeiltes Rollenportrait des Mime schuf: Sein Leben lang unterdrückt und geschlagen, will er sich jetzt auflehnen und aktiv werden. Bei Röhr flackern Hoffnung und Angst auf, Verzweiflung und Frohlocken bis zum Tod. Er gestaltet dies mit seinem brillanten, immer frei klingenden Tenor, der keine Konditionsschwächen kennt.
Kirsi Tiihonen ist eine Brünnhilde mit sonnigen Höhen und kraftvoller Mittellage. Ihr Spiel auf der Bühne wirkt statuarisch, vielleicht weil die Regie es dezidiert so will. Keine Probleme, das Aalto-Theater stimmlich zu füllen hat Ljubov Sokolova als Erda, sie kommt allerdings mit dem deutschen Idiom, dem Duktus der Sprache noch nicht zu Recht. Almas Svilpa ist als Wanderer geradezu eine Idealbesetzung, kernig und fest im Ton, ausgezeichnet im Hinblick auf die Textverständlichkeit.
Daran muss Johnny van Hal in der Titelpartie noch gewaltig arbeiten. Generell scheint, dass für ihn der Siegfried in einem großen Haus wie dem Essener noch zu früh kommt. Die Höhen seiner enorm anstrengenden Partie mobilisiert er bis zum Schluss sehr sicher, doch an klanglichem Volumen braucht es mehr. Allzu oft wird er von Mime glatt an die Wand gesungen, kommt mitunter nicht über das Orchester hinweg, verschluckt ganze Silben und Worte. Und vor allem muss van Hal einiges verbessern an der Präzision seiner Sprache.
Christina Clark als silbrig zwitschernder Waldvogel und Marcel Rosca als Furcht erregender Fafner ergänzen das Ensemble exquisit.
Einer aber schmiedet seinen Meisterring unbeirrt: Stefan Soltesz, der mit den Essener Philharmoniker wieder eine temporeiche, glasklare Wagner-Interpretation liefert. Er kann sich auf seine Musiker absolut verlassen und wird zu Recht gefeiert.
Das singende Ensemble wird am Premierenabend vom Publikum fein abgestuft gefeiert, während man dem Regieteam offensichtlich eher gleichgültig gegenübersteht. So können zwei Buhrufer (mehr waren es wohl kaum) den freundlichen Beifall aufmischen.

Christoph Schulte im Walde

 










 
Fotos: Thomas Aurin