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Fakten zur Aufführung 

VIER LETZTE LIEDER
(Richard Strauss)
Sinfonie Nr. 4 "Die Romantische"
(Anton Bruckner)
15. September 2009

Philharmonie Essen


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Der ewige Eisschrank?

Eine ihrer ersten Rollen auf der Opernbühne waren Mitte der Neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts die Sophie und die Lulu (!), vor drei Jahren gab sie in Salzburg den Cherubino – und sang und spielte glatt diejenige an die Wand, um derentwillen doch wohl die meisten gekommen waren: Anna Netrebko. Aber Christine Schäfer mutierte für Viele zum eigentlichen Star dieser Produktion.
Schäfer gastiert längst auf den großen Podien der Welt. Doch immer wieder ist es das Lied, mit dem sich die Sopranistin beschäftigt: das klavierbegleitete und, wie jetzt in der Essener Philharmonie, das Orchesterlied.
Tags vor ihrem Auftritt läuft ein einstündiges Portrait im TV-Sender ARTE - die Schäfer als Mensch und als Künstlerin. Aufschlussreich und sympathisch gemacht. Zwischendrin wird Schäfer mit einem Eindruck konfrontiert, den ein gewisser Teil ihres Publikums bei ihrem Singen hat. Den beschreibt sie selbst: „Ach ja, der ewige Eisschrank!“ Das Urteil tut sie nicht in Bausch und Bogen ab, im Gegenteil. Sie nimmt es ernst. Und vielleicht ist ihr Gesang es auch manchmal: kühl. Wie in der Aufnahme ihrer Winterreise zum Beispiel. Aber ganz gewiss gilt dies nicht für die Art und Weise, wie sie in der Essener Philharmonie die Vier letzten Lieder von Richard Strauss interpretierte. Die nämlich gingen gewaltig unter die Haut. Gerade weil sie, die nicht über einen Trompeten-Sopran verfügt, all die intimen changierenden Stimmungen von Text und Musik auf klanglich eher eng bemessenem Raum in ihrer Vielfältigkeit ausdeutet. Die „dämmrigen Grüfte“ bekommen etwas Morbides, aus dem heraus sich der Frühling Bahn bricht; die „müdgewordenen Augen“ („September“) taucht sie in fahle Farben, die vom Pittsburgh Symphony Orchestra mit sicherem Gespür aufgegriffen und ins Unhörbare hinein versenkt werden. Gesang und Orchester - eine Symbiose.
Das setzt sich fort in „Beim Schlafengehen“: gleich in der ersten Liedzeile („Nun der Tag mich müd gemacht“) verströmt Christine Schäfer für sie so typische Töne. Ziemlich geradeaus, ohne Vibrato, fast trocken – aber eben nirgends wie ein Eisschrank! Eher erschütternd nackt und ehrlich. Um sich Sekunden später hinauf zu schwingen in das „sehnliche Verlangen“. Vollends betörend gelingt ihr „Im Abendrot“, geprägt von großer innerer Ruhe, von großen gestalterischen Möglichkeiten, mit denen sie die dichte Atmosphäre -eine des Abschieds und des Todes - zu transportieren imstande ist. Nicht mit großer sängerischer Gestik, sondern mit fein dosierter Farbgebung.
Das Pittsburgh Symphony Orchestra ist ein idealer Partner, Dirigent Manfred Honeck dosiert perfekt die Dynamik, trägt Christine Schäfer stets auf Händen. Seinen großen Auftritt bekommt das Spitzenensemble aus den USA nach der Pause mit Anton Bruckners 4. Sinfonie. Ein umwerfendes Erlebnis, das beginnt, ohne dass man es überhaupt merkt. Denn die ersten Takte kommen wie aus der Stille: tiefe Streicher, geradezu „pianisissimo“. Dann große Entwicklung, anwachsender Klang, sattes Blech. Nie gleißend, nie aufdringlich und nirgends übertönend. Nein, die Pittsburgher unter Manfred Honeck mobilisieren in dieser Bruckner-Sinfonie von Anfang bis Ende einen ganz besonderen „Sound“, der den großen Bogen sucht und stets findet, einen Orchesterklang, in dem Blech, Holz und Streicher ineinandergreifen. A propos Streicher: die sind hier wie rotgold leuchtender Bernstein, ohne jede Schärfe, aber mit viel Tiefenwirkung. Vielleicht liegt das (auch) an der Aufstellung: Erste Geigen links, zweite Geigen rechts, in der Mitte Celli und Bratschen, dahinter Holz und Blech, links hinter den ersten Geigen die Kontrabässe. So wurde im 19. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gespielt! Das hat klangliche Vorteile.
Fazit: hier gab es Bruckner vom Feinsten! Feierlich – aber ohne jeden Weihrauch, der einem ewig in den Kleidern hängt. Essens Publikum - während der Musik von geradezu vorbildlicher Konzentration - zeigte sich überwältigt und bekam gleich zwei Zugaben (Griegs „Morgenstimmung“ aus Peer Gynt, einen Ungarischen Tanz von Brahms).

Christoph Schulte im Walde

 


 
Fotos: Dietmar Scholz