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Fakten zur Aufführung 

DAS RHEINGOLD
(Richard Wagner)
8. November 2008 (Premiere)

Aalto-Theater Essen


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Das Prekariat von Nibelheim

Die einen lieben ihn, die anderen rümpfen über ihn die Nase: Tilman Knabe ist ein Regisseur, der sein Publikum oft in zwei gegensätzliche Lager spaltet. Insofern war jetzt in Essen die Neugier groß: was würde der Everding-Schüler aus Wagners „Rheingold“ machen.

Bekanntlich entsteht bis zum Jahr 2010 im Aalto-Theater ein neuer Ring des Nibelungen, inszeniert von vier verschiedenen Regisseuren, wie schon vor Jahren in Stuttgart. Knabe also machte den Auftakt. Gleich vorweg: die große Schlacht Buhs gegen Bravi blieb diesmal aus.

Auf der Bühne agieren keine Götter, keine Nymphen und auch keine Riesen, sondern ganz normale Menschen. Die leben alle an einem Ort, aber in ganz unterschiedlichen Welten, für die Alfred Peter ein je eigenes Bühnensegment vorgesehen hat. Wotan liegt in einer mondänen Empfangshalle, wie man sie sich auf der mondänen Krupp-Villa Hügel im schönen grünen Süden von Essen vorstellen könnte, und treibt lustvolles Spiel mit den Rheintöchtern. Gattin Fricka prüft derweil die Bücher. Ein Stock tiefer: das Etablissement der Rheintöchter, eindeutig ein Bordell, mit gleißendem Gold ausgeschlagen, das den leichten Damen ziemlich schnell verlustig geht. Ebenfalls im Untergeschoss vegetieren Alberich und Mime vor sich hin - eine Gegend, in der man wirklich nicht wohnen möchte. Später durchwuselt das Prekariat von Nibelheim diesen Bereich, kämpft sich durch Müll, Lumpen und all solchen Unrat. Fafner und Fasolt von der Bauabteilung für die neue Wotan-Residenz haben ein enges Büro oben rechts in der riesigen Bühnenanlage.

So weit die gesellschaftliche Aktualität dieser Inszenierung. Doch Tilman Knabe hätte weiter gehen können, hätte viel schärfer die Mechanismen von Macht und Geld, von Versprechungen, Betrügereien und Verträgen unter die Lupe nehmen sollen. Gerade jetzt! Den Grund, weshalb die globale Wirtschaft in der Krise steckt und tödliche Folgen hat, legt schon Richard Wagners Drama offen: Die Gier! Der rein egoistische pekuniäre Vorteil einiger Weniger zum Schaden der Allgemeinheit, die zur zweiten Natur gewordene Sucht nach rastloser Anhäufung. Fasolt ist ihr erstes Opfer und bekommt den Knüppel seines Bruders zu spüren. Das Ende von Tilman Knabes Lied: Wotan und Gefolge ziehen nicht ins neue Heim, sondern landen auf dem Müllhaufen. Wie singt Loge doch so schön: „Ihrem Ende eilen sie zu“. Das hätte nicht plastischer inszeniert werden können.

Trotzdem: Knabe bleibt in einem guten Ansatz stecken. Seine Provokationen – man wartet ja förmlich darauf! - erschöpfen sich in vielfältiger Kopulation, so zwischen den Göttern Donner und Froh. Und die Rheintöchter besorgen es jedem, Hauptsache die Kasse stimmt. Das ist nicht schockierend, sondern ermüdend.

Dabei gibt es auch viel schöne Bilder, die allerdings auf der an so vielen Orten gleichzeitig bespielten Bühne manchmal untergehen: so die zarte Annäherung zwischen Freia und Fafner. Dazu gehört auch die Darstellung der Urmutter Erda mit schwarzer Hautfarbe - liegt doch die Wurzel menschlichen Lebens in Afrika.

Insgesamt eröffnet Knabe den „Ring des Nibelungen“ mit einer Baustelle teilweise interessanter Gedanken.

Stefan Soltesz und die Essener Philharmoniker liefern einen überzeugenden Wagner-Klang, auch wenn das letzte Fünkchen an Brillanz und Farbigkeit noch fehlt. Das Essener Solisten-Ensemble bewegt sich auf gewohnt hohem Niveau. Tadellos Ildiko Szönyi als Fricka; auch Heiko Trinsinger (Donner), Francisca Devos (Freia) und Andreas Hermann (Froh) gehen in ihren Rollen stimmlich wie darstellerisch auf, insbesondere aber Almas Svilpa als glaubwürdig agierender Wotan und Rainer Maria Röhr als Loge, mit ganz leichten Intonationsungenauigkeiten gegen Schluss, durch die aber seine hervorragend herausgearbeiteten ätzenden Bemerkungen nicht getrübt werden.

Zu Recht gefeiert wird Jochen Schmeckenbecher als Alberich – großartig seine Wandlung von der gequälten Kreatur zum vom Gold gesteuerten Urkapitalisten. Auch Albrecht Kludszuweits Mime ist ein gelungenes, schönes Rollenportrait. Fafner (Marcel Rosca) und Fasolt (Andreas Macco) sind völlig typengerecht besetzt, setzen mit kernigen Stimmen ihre Forderungen durch.

Und die mahnenden Worte Erdas liegen beim Alt Ljubov Sokolovas in der besten, dunklen Kehle.

Lediglich die Stimmen der Rheintöchter (Katherina Müller, Bea Robein und Barbara Kozelj) wollten sich nicht recht mischen.

Essens Premierenpublikum zeigt sich vor Beginn der Vorstellung gespannt. Schließlich ist Knabe immer für einen Skandal gut. Als einen solchen empfinden offensichtlich einige Zuhörer die (behutsam) kopulierenden Menschen, die gleich nachdem sich der Vorhang gehoben hat zu sehen sind. Wenn das heute noch ein Grund ist, türenknallend das Haus zu verlassen...

Christoph Schulte im Walde