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Fakten zur Aufführung 

AUFSTIEG UND FALL DER STADT MAHAGONNY
(Kurt Weill)
26. Januar 2008 (Premiere)

Aalto-Theater Essen


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Jüdische Volksoper?

Barrie Kosky ist immer für eine Überraschung gut. Der nicht unumstrittene Regisseur teilte vor zwei Jahren das Premierenpublikum anlässlich seiner Holländer-Inszenierung im Essener Aalto-Theater in zwei Lager, von denen er eines in echte Rage, wenn nicht zur Weißglut brachte. Am selben Haus dann eine Spielzeit später Tristan und Isolde: man befürchtete Schlimmes, bekam aber Grandioses – wenngleich auch hier sich die Geister bis heute scheiden. Nun, im Vorfeld der jüngsten Arbeit Koskys in Essen, ging die Kunde, es würde sich ein ähnlicher Premierentumult einstellen wie seinerzeit beim Holländer. Gut möglich, denn immerhin hatte sich der australische Regisseur Kurt Weills „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ vorgenommen. Ein Stück, in dem es zur Sache geht oder gehen kann, ein drastisches Stück, in dem die Fetzen fliegen. Ein Stück für unsere Zeit, deren ökonomische und gesellschaftliche Mechanismen sich kaum unterscheiden von denen, die zur Entstehungszeit von „Mahagonny“ Anno 1930 walteten. Im Gegenteil: es ist schlimmer geworden.

„Mahagonny“ ist die Entzauberung der kapitalistischen Ordnung als das was sie ist: Plutokratie – Herrschaft des Reichtums. Rastlose Vermehrung des Wertes. Wenig davon bei Barrie Kosky! Das knallhart Gesellschaftliche interessiert ihn nicht und kommt wenn überhaupt nur am Rande vor. Stattdessen geht es ihm um eine „biblische Burleske“, wie Kosky seinen knappen Programmaufsatz überschreibt. Mahagonny als „jüdische Volksoper“, als Stück über Menschen, die ihre Träume realisieren wollen. Kosky entwickelt drastische Bilder, die er opulent, man könnte bisweilen sogar sagen: schön in Szene setzt. Ralph Zeger hat ihm dazu eine Bühne gebaut, die aussieht wie eine tunnelartige Halfpipe zum Skaten.

„Erst kommt das Fressen, dann der Liebesakt“ – und so weiter. Alles üppigst ausgestattet und mit viel fließenden Exkrementen – aber eher so, dass man drüber schmunzelt. Weh tut das niemandem, leider! Und deshalb bewegt sich das gelangweilte Premierenpublikum massenweise zu den Ausgängen, bevor der Applaus nach dem letzten Takt der Partitur überhaupt erst richtig eingesetzt hat. Eine Welle von Buhs geht denn doch auf Kosky hernieder, klar. Aber nicht, weil ihm zu viel, sondern weil ihm beinahe nichts oder nichts Substantielles zu Brecht/Weill eingefallen ist. Ein paar Kilometer vom Aalto-Theater entfernt zeigt das System, das Brecht, der Dichter und Weill, der Komponist ins Visier genommen haben, wieder einmal bis zur Kenntlichkeit sein wahres Gesicht: Stichwort Nokia und die Schließung der Bochumer Produktion. Dieses Faktum gehört nicht Eins zu Eins auf die Opernbühne – aber wenn von fundamentalen Mechanismen der Ökonomie so gar nichts in einer „Mahagonny“-Inszenierung vorkommt, ist das schon eigenartig.

Fatal auch, dass der Umgang mit dem Text, dem Brecht und Weill die gleiche Bedeutung wie der Musik zumaßen, im Ensemble nicht akzeptabel war: das deutsche Idiom wurde da vielfach als wenig wichtig erachtet. Schade, denn in „Mahagonny“ helfen Übertitel gegen haarsträubende Deklamation gerade in den großen Sprechpassagen wenig. Auch gesanglich war der Glanz bescheiden. Nicht Brechtsche Charaktere standen da auf der Bühne, sondern verkleidete Opernsänger: Jeffrey Dowd mochte man den Holzfäller aus Alaska genauso wenig abnehmen wie der bisweilen schrillen Astrid Kropp das gefallene Mädchen Jenny Hill. Ein wenig unbeholfen wirkte auch Ildiko Szönyi als Witwe Begbick mit immerhin kraftvollem Alt. Überzeugen hingegen konnten Heiko Trinsinger als Dreieinigkeitsmoses und Günter Kiefer als Sparbüchsenbill.

„Mahagonny“ ist in Essen Chefsache: Stefan Soltesz animierte die Essener Philharmoniker zu Klängen, in denen man stellenweise baden konnte – manchmal etwas zu pompös. Dennoch: der Applaus gab sich schon zur Pause so mau wie die Inszenierung. Ratlosigkeit angesichts dessen, was man gerade gesehen hatte! Und am Ende? Nach einigen Buhs für das Regieteam leerte sich der Saal rasch. Das gibt es in Essen selten.

Christoph Schulte im Walde

 

 












Fotos: Matthias Jung