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Fakten zur Aufführung 

LULU
(Alban Berg)
23. Januar 2010 (Premiere)

Aalto-Theater Essen


Points of Honor                      

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Lulu, das Rache-Objekt

Die Nahtstelle, an der Wunsch und Wirklichkeit mit einander verschmelzen können, ist die Illusion. Projektionen von Vorstellungen, von Fantasien auf die Realität schaffen keine Veränderung derselben. Dietrich Hilsdorf führt das in seiner Lulu plastisch vor, indem er in den Zwischenspielen zu den einzelnen Bildern auf einer herabgelassenen Leinwand den Aufbau der Bühne per Video (oder vorproduzierter Filmsequenz) zeigt und so die Kreation einer Illusion und deren Demontage erfahrbar werden lässt.

Genau das erleben auch all die Männer, die ihre Obsessionen in Lulu legen und daran zu Grunde gehen, dass sie doch nicht alle erfüllt werden. Lulu ist bei Hilsdorf weder männermordender Vamp noch verführende Lolita. Ziemlich gelassen, ja fast unbeteiligt lässt sie das emotionale Chaos geschehen, das die Männer in den Tod stürzt. Also ist sie nur Opfer? Nein, so einfach macht es sich Hilsdorf dann doch nicht. Lulu wird auch zur eiskalten Täterin, als sie Dr. Schön zwingt, sie zu heiraten - da steht sie hinter den Männern mal nicht zurück. Das rüttelt indes nicht daran, dass hier in erster Linie rächende Männer das Thema sind.

Johannes Leiackers Bühne wirkt wie eine alte Industriebrache: ein hoher Raum, eine graue Halle. In diesem großflächigen Areal legt Hilsdorf seinen Fokus auf die Personen, schafft so Intimität im Riesenraum. Dabei bleibt er aber stets der kühle Beobachter. Seine Personenführung wirkt bisweilen etwas fahrig und indifferent – wirklich eindrucksvolle Bilder bleiben da eher selten.

Der Coup gelingt Hilsdorf mit dem Schluss: auf leerer Bühne liegt Lulu an ein Bett gefesselt. Und all ihre Männer, auch die Wiedergänger der gestorbenen, bringen Lulu um – ob der nicht erfüllten Wünsche. Geliebt um ihrer selbst willen wurde sie von nur einem Menschen – von der Gräfin Geschwitz.

Julia Bauer gibt eine kühle, distanzierte Lulu. Sie beeindruckt durch ihre Sicherheit, ihre schöne, mühelos erreichte Höhe, die immer wieder enorm gefordert wird. Etwas derb und roh klingt ihre Stimme in der Mittellage.

Glänzend Thomas Piffka als Alwa mit ausgeglichenem, in allen Lagen wunderbar vollem Tenor. Dem steht Heiko Trinsinger als Dr. Schön in nichts nach. Skrupellos und intrigant zu Beginn, vollzieht er die Wandlung zum Angstbesessenen – ganz brüchig und voller Zweifel klingt dann sein anfangs furchteinflößender Bariton.

Die Rolle des Malers Walter Schwarz wird zum Triumph für Andreas Hermann, der die Partie eindrucksvoll gestaltet und durch immer wieder stupende Höhensicherheit und Energiegeladenheit hervorsticht. Er zeichnet einen ganz fragilen, zerbrechlichen Menschen, der Lulus Ende in seinen Bildern vorwegnimmt.

Das Essener Ensemble demonstriert an diesem Abend seine Klasse in voller Breite: Bea Robeins dunkle Stimme glüht als Geschwitz vor Verlangen nach Lulu; Günter Kiefer ist ein richtig eklig, schleimiger Schigolch und Almas Svilpa ein martialisch, egoistischer Athlet. In Ieva Prudnikovaites schön gesungenem Gymnasiasten schlummert schon ein Octavian. Albrecht Kludszuweit als nervenschwacher Kammerdiener, Michael Haag als Theaterdirektor, Thomas Böckstiegel als Medizinalrat und Marie-Helen Joël als Charlotte garantieren ihrerseits die exquisiten gesanglichen Leistungen des Premierenabends.

Die Essener Philharmoniker unter Stefan Soltesz sind schlichtweg wunderbar. Sie schaffen eine Transparenz, die betört, lassen dem Hörer Raum zum Nachvollziehen und gestalten alle schrillen, grellen Effekte einzig und allein als das Bühnengeschehen unterstreichende Elemente. Ganz zart und berückend kommen die an Mahler erinnernden lyrischen Passagen daher. Da bleiben keine Wünsche offen.

Das sah auch das Essener Premierenpublikum so, das sich konzentriert auf ein nicht ganz leicht zu verarbeitendes Werk einließ und alle Beteiligten am Ende mit Jubelstürmen übergoss.

Thomas Hilgemeier

 











 
Fotos: Thilo Beu