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Fakten zur Aufführung 

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER
(Richard Wagner)
16. April 2006
(Premiere: 9.4.06)

Aalto-Musiktheater Essen

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Furor der Phantasie

Zwar Felsen am Rand, aber keine Schiffe, keine Seebären - dafür ein Mädchen, zitternd im roten Kleidchen, begafft aus Fenstern eines Bürogebäudes: es entsteht eine existenzielle Psychose. Senta, fixiert auf weiblichen Gefühls-Orgasmus, neurotisch leidend an den Zudringlichkeiten; am Ende tötet sie ihre einzig ersehnte Liebe.

Barrie Koskys Inszenierungskonzept ist kein großer Wurf, in den psychischen Verwicklungen auch nicht frei von Unstimmigkeiten. Doch das fulminant-expressive Bühnengeschehen zwingt zu atemloser Spannung, präsentiert die inneren Kämpfe Sentas in dramatischen Bildern (alle Seeleute und ihre Bräute als Sentas verkleidet im kollektiven Orgasmus, ein Skelett als perverses Lustobjekt), kann sich aber konventioneller Bilder (das Volk als Putzkolonne ) nicht enthalten.

Klaus Grünberg baut eine steril-voyeuristische Fassade mit glotzenden Fenstern, schafft Atmosphäre durch wehende Vorhänge und damit Isolationsräume der total zerstörten Senta - und setzt Akzente für die menschenverachtenden Mechanismen eines kommerziell-bürokratischen Systems.

Diogenes Randes ist als Daland ein solcher Plutokrat, Jeffrey Dowds Erik ein affirmativer Subordinärer - beide stimmlich auf das Konzept perfekt eingestellt. Almas Svilpa ist der beeindruckende Kraftprotz, der für Sentas innere Visionen Realitätsahnungen losbricht: darstellerischexzellent, stimmlich hochpräsent. Und Astrid Weber gelingt eine psychisch-destruierte Senta par excellence; mit ihrer klar-hellen Stimme ist sie die Inkarnation der existenziell gequälten Frau - ein Auftritt, der sowohl emotional nehegeht als auch die künstlerische Potenz der Sängerin bewundernswert akzentuiert. Dazu kommt ein stimmlich einzigartiger Chor, von Alexander Eberle hervorragend eingestellt.

Stefan Soltesz lässt die Ouvertüre knallhart in den Anfangsbeifall brechen, verzichtet mit den animierten Essener Philharmonikern auf plastische Naturschilderungen, sondern dramatisiert mit frappierenden Kontrasten in Dynamik und Lautstärke sowie spannungsgeladenen Pausen die Irritationen einer existenziell zerstörten Seele. Zu hören ist ein ungewohnter Wagner, perfekt in der Intonation, überwältigend im diffizilen Klang-Kosmos!

Einige Besucher mosern während des orgiastischen Tohuwabohus - doch das Stänkern einiger weniger unzureichend Aufnahmebereiter macht noch keinen "Skandal" (dazu gibt auch Koskys Konzept zu wenig her). Auf alle Fälle steigert sich der Applaus für Sänger und Orchester zu rhythmischem Klatschen und Standing Ovations - viele Essener haben noch nicht die opernadäquaten Beifallsmöglichkeiten entdeckt. In einer Kulturhauotstadt Europas wird sich das eber sicherlich finden. (frs)


Fotos: © Matthias Jung