Adrenalin pur
Sie hat schon einige Jahre „auf dem Buckel“, Nicolas Briegers Essener Inszenierung von Richard Strauss’ Elektra – gleichwohl ist sie nach wie vor unendlich aktuell, spannend, betörend.
Denn Brieger ist es gelungen, das zeitlos Archaische dieser Oper genau auszuloten. Dabei konzentriert er sich auf ein Tableau dicker Mauern, auf die Unbändigkeit aufeinander prallender Gefühlswelten, auf all die ewigen, aber noch unzivilisierten Grundpfeiler: Liebe, Hass, Macht und Rache. Brieger lässt dem Unerhörten, dem Atemstockenden in Elektra freien Lauf, zwängt die Figuren nicht in ein Ablaufkorsett, sondern bietet ihnen freie Entfaltung der Raserei, des Entsetzens.
Und seine Inszenierung kann sich dank weiser „Personalpolitik“ am Aalto-Theater verlassen auf großartige Sängerdarsteller: auf die noch etwas verhalten singende Danielle Halbwachs (Chrysothemis) und den ungemein fesselnden Almas Svilpas, dessen hervorragend deklamierter Orest nach seinen Morden alle strotzende Männlichkeit verliert und zum hospitalisierenden Etwas mutiert.
Verlass ist auch auf die schlaflose Klytämnestra (Ildiko Szönyi), die mit jedem Ton beglaubigt, dass ihr Leben eine größere Höllenqual ist, als der Tod je sein könnte.
Und Luana DeVol? Sie hat seit der Essener Premiere im Jahr 2000 nichts verloren von ihrer suggestiven Darstellungskraft und der voll Rachefeuer lodernden Stimme. Das ist einfach faszinierend!
Die Essener Philharmoniker unter Stefan Soltesz schließlich liefern auch noch das letzte Quentchen nervös-nervenaufreibender Spannung. Ein schweiß– und tränentreibender Opernabend im Aalto-Theater! Das Publikum der Repertoire-Vorstellung ist enthusiasmiert wie vor acht Jahren bei der Premiere.
Thomas Hilgemeier
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