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Fakten zur Aufführung 

ELEGIE FÜR JUNGE LIEBENDE
(Hans Werner Henze)
24. April 2010 (Premiere)

Aalto-Theater Essen


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Der Dichter, ein tyrannischer Egomane

Hans Werner Henze als Meister der Oper - derzeit erfahrbar im Rahmen der großen Henze-Werkschau in der Kulturhauptstadt. Jüngstes Projekt: die Elegie für junge Liebende im Essener Aalto-Theater. Ein fast fünfzig Jahre altes Stück zu einem ewig virulenten Thema: was ist die Kunst, wo liegen ihre Quellen, welche Opfer fordert sie. Gregor Mittenhofer, der egozentrische Dichter steht im Mittelpunkt, umgeben von fünf subalternen Gestalten. Sie garantieren ihm einen völlig schematisch verlaufenden „Alltag“ – einen Mikrokosmos ganz auf ihn und seine Dichtkunst ausgerichtet. Das System gerät jedoch ins Wanken, als Hilda Mack, Mittenhofers wichtigste Inspirationsquelle, aus ihrem Wahnsinn erwacht: die Leiche ihres in den Bergen umgekommenen Mannes wird nach vierzig Jahren entdeckt. Elisabeth, das sexuelle Lustobjekt des Dichters, verliert dieser an den jungen Toni, den Sohn seines Leibarztes Reischmann. Vordergründig generös entlässt Mittenhofer die Liebenden in die Freiheit, genau kalkulierend, dass sie beim bevorstehenden Schneesturm ihr Leben lassen werden. Das ist ihm – reichlich brutal – wiederum Inspiration zu seiner großen Dichtung, der „Elegie für junge Liebende“.

Regisseurin Karoline Gruber liefert eine durch und durch stimmige Interpretation von großer Geschlossenheit und nie nachlassender Intensität. Roy Spahns Einheitsbühne unterstreicht die hermetische Situation, denn er baut einen gigantischen Vogelkäfig mit Sitzstangen und überdimensionalen Futterschalen! Aus dem gibt es kein Entrinnen, so sehr man auch will. Die Protagonisten bleiben Gefangene, mehr noch: sie mutieren zu Vögeln. Die den Dichter anbetende Gräfin zur gefügigen Krähe, der Arzt zum kopfnickenden Gockel und der Meister selbst zum furchterregenden Geier. Nur die zu Verstand gekommene Hilda Mack bekommt Schmetterlingsflügel. Vergebens. Auch für sie bleibt der Käfig ein Gefängnis. Das ist insgesamt ein absolut passender Rahmen für die intellektuellen Auseinandersetzungen in diesem Werk, für die Gruber immer wieder schöne Bilder findet.

Henzes Musik ist geprägt von großer Sinnlichkeit, viel Gespür für den dramatischen Augenblick – er ist ein virtuoser Klangmagier, dem die Essener Philharmoniker unter Leitung von Noam Zur nichts schuldig bleiben. Grandios die sechs Solisten: da ist Astrid Kropp-Menéndez (Hilda Mack) mit atemberaubenden Koloraturen, die sie von tiefsten Lagen in makellose Höhen führt; da ist Andreas Hermann (Toni), der seinen Tenor mit unfehlbarer Sicherheit im Griff hat und völlig unangestrengt in höchste Höhen schraubt. Ildiko Szönyi ist eine differenziert auftretende Gräfin von Kirchstetten mit gebieterischer Stimme, Francisca Devos eine Dichtergeliebte mit quecksilbrigem Sopran. Dem Leibarzt gibt Michael Haag überzeugende Statur, Claudio Otelli meistert die Titelpartie, nicht ohne zum Schluss an seine Grenzen zu stoßen. Zudem verlangt Henze ihm eine für einen Bariton unangenehme Tiefe ab.

Die Elegie ist sicher ein hartes Stück Arbeit für die Rezipienten, aber gerade durch Grubers durchaus sinnlich-zarte Bilder auch ein echter Hingucker.
Ein Teil des Essener Publikums war sich für diese Arbeit wohl zu schade und so blieben nach der Pause etliche Plätze leer. Doch die große, aufgeschlossene Mehrheit applaudierte begeistert.

Christoph Schulte im Walde

P.S.: Das gesamte kompositorische Schaffen von Hans Werner Henze wird noch bis Ende des Jahres in der Kulturhauptstadt 2010 präsentiert. Niemand wird behaupten, Henze hätte sich Zeit seines Lebens übermäßig mit dem Ruhrgebiet identifiziert, doch mit dem „Henze-Projekt“ ehrt die Kulturhauptstadt eine Künstlerpersönlichkeit, die zu den bedeutendsten des 20. Jahrhundert gezählt werden muss.












 
Fotos: Kathrin Holighaus