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Fakten zur Aufführung 

THE DEER HOUSE
(Jan Lauwers/Needcompany)
7. März 2009
(Premiere: 28. 7. 2008/Salzburg)

Ruhr-Triennale
PACT Zollverein Essen


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Das Alb-Traumspiel

The Deer House/Das Hirschhaus von Jan Lauwers & Needcompany, das PACT Zollverein als deutsche Erstaufführung zeigte und zusammen mit den Salzburger Festspielen und dem Schauspielhaus Zürich koproduzierte, ist nach IsabellasZimmer (2004) und Lobstershop (2006) der abschließende Teil der Trilogie Sad Face – Happy Face*. Es handelt sich um „Drei Geschichten über das Wesen des Menschen“.

Damit ist klar, dass es in dem Stück um das große Ganze geht, um Menschheitsthemen, vor allem um Leben und Tod. Lauwers schrieb den Text nach einem dramatischen Einbruch der Realität in die Bühnen-Welt: Bei einem Gastspiel der Needcompany in Frankreich erreichte ein Mitglied der Truppe – die Tänzerin Tijen Lawton – die schreckliche Nachricht, dass ihr Bruder Kerem bei seiner Tätigkeit als Fotojournalist im Kosovo erschossen wurde. Dieser Anlass zwang - nicht nur der Gruppe - Grundsatzfragen förmlich auf: die alte Frage von dem Verhältnis von Kunst und Leben, von der Realitätshaltigkeit von Kunst.

Das von Lauwers geschaffene Bühnenbild – er ist ausgebildeter bildender Künstler – ist ein hochartifiziell gestalteter Raum, ein wirkliches Bild im Wortsinne, mit Hirschplastiken in vielen Varianten und einer zu verschiedenen Handlungsinseln veränderbaren Installation. Diese Requisiten bilden zuerst eine Theatergarderobe, dann im zweiten Akt den Innenraum der Aussteigergemeinschaft des Hirschhauses mit einem großen Arsenal toter Hirsche.

Charakteristisch für die Brüsseler Needcompany ist ein multilinguales Theater, die Darsteller sprechen in 'ihren' Sprachen Englisch, Französisch, Flämisch etc., was durch die deutsche Übertitelung vereinheitlicht wurde. Sie prägen der Performance ihre Persönlichkeit auf und agieren im Hirschhaus aufgrund der Ausgangslage, der Vermischung von Facts und Fiction, sogar mit eigenen Namen. Sie sind Tänzer, Schauspieler, Schriftsteller, Komponisten, die die Performance gemeinsam entwickeln und durch ihre Individualität prägen. Aufgrund zahlreicher Brechungen, Verfremdungen, Montagen, Sprachwechsel ist immer auch klar, dass das Theater ein Spiel ist, eine Illusion, „Ein Spiel, in dem gespielt wird, dass es gespielt ist“, stellt Lauwers klar.

Wovon handelt das Stück? Akt 1: Die Truppe auf Tournee in der Garderobe. Beiläufige, zusammenhanglose Dialoge, die sich um Tod, Unfälle, Jagderlebnisse und deren voyeuristischen Reiz drehen. Das Makabre und das Sensationsheischende wird herausgestellt, man ist nicht persönlich getroffen. Das ändert sich schlagartig, als Tijen die Garderobe betritt. Sie kommt aus Pristina, wo sie den Leichnam ihres Bruders identifizieren sollte. Dadurch bekommt die Situation eine andere Qualität, weil der direkte, persönliche Bezug zum Schicksal eines nahen Menschen in die Unverbindlichkeit hereinbricht. Tijen hat ein Tagebuch ihres Bruders gefunden, in dem es wiederum um Tote geht: minutiöse Beschreibungen der Fotos der Kriegsopfer, deren Dokumentation Aufgabe des Kriegsfotografen ist. In Akt 2 verwandelt sich das Stück in eine hypothetische, mit Elementen des Märchenhaften und Fantastischen versetzten Rekonstruktion über die Umstände des Todes des Fotografen, indem es zu ganz selbstverständlichen Wechseln vom lebendigen zum toten Zustand und vice versa kommt. Die Toten sind nicht wirklich tot, sie melden sich zurück, mischen sich ein. Zentral ist das Motiv der Trauer und damit verbunden die Rituale um den Tod in ihren verschiedenen Ausprägungen. Nach Lauwers hat die Trauer eine weltweit kulturverbindende Funktion. Die Trauer und nicht das Erleben von Glückszuständen ist der verbindende Faktor der Kulturen. Trotz der tragischen Grundströmung des Abends verfügt DasHirschhaus auch über eine schon im Text angelegten Leichtigkeit. Eingearbeitete Songs (Musik: Hans Petter Dahl, Maarten Seghers, beide auch Akteure und Jan Lauwers) und der leichte musikalische Gestus, oft beiläufige Live-Klavierbegleitung brechen die Schwere des Sujets auf. Eine unglaublich intensive, berührende und aufwühlende Aufführung, die noch lange nachwirkt.

Einige wenige Zuschauer hielten die zweistündige Performance nicht durch und verließen vor dem Ende den Saal, allfällige Störungen locker in Kauf nehmend. Erst nachdenklicher, dann großer Beifall.

*Das Textbuch der Trilogie ist 2008 in deutscher Übersetzung im Fischer Taschenbuch Verlag erschienen.

Dirk Ufermann

Video : http://www.youtube.com/watch?v=GkqEGo4a8og

Wertung Schauspiel:

 

 









Fotos: Maarten Vanden Abeele