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Fakten zur Aufführung 

DER RICHTER UND SEIN HENKER
(Franz Hummel)
8. November 2008 (Uraufführung)

Theater Erfurt


Points of Honor                      

Musik

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Albtraumwelten

Friedrich Dürrenmatts als Krimi getarnte Abrechnung mit der bourgeoisen Doppelmoral als Oper? Na klar, ist man geneigt zu vermuten, da gibt es so viel Unausgesprochenes, die Chance für die kommunikative Kraft der Musik. Franz Hummel machte sich mit seiner Frau Sandra an die Umsetzung in Partitur und Libretto. In Erfurt ist das Ergebnis zu besichtigen.

Carl Friedrich Oberles Bühne beginnt im trassierband-durchzogenen schwarzen Raum, der sich öffnet in die Repräsentationssalons der „guten Gesellschaft“, separiert die „Nischen“ des Kommissars, der liebenden Anna, den Café-Tisch des eingreifenden Autors Dürrenmatt – und versieht sie mit zeitgerecht-„sprechenden“ Kostümen im Stil der 50er Jahre!

Rosamund Gilmore inszeniert und choreografiert ein außerordentlich variantenreiches hochartifizielles Spiel: die handelnden Personen des so vielschichtig angelegten Geschehens – Krimi-Figuren, Repräsentanten gesellschaftlich signifikanter Konfigurationen, psychologische Studien, vom „Autor“ gelenkte Gestalten – werden verdoppelt durch graue Tänzer im Stil avancierten Ausdrucks-Tanzes. Das alles ergibt permanente Situationen der unbegriffen-aggressiven Kommunikation, gibt den Darstellern immer wieder Gelegenheit zu intensiver Interpretation.

Da gibt Petteri Falck einen von Schmerz gepeinigten Bärlach, Marwan Shamiyeh einen ehrgeizigen Tschanz, Robert Wörle einen selbstgerechten Gastmann, Alice Rath eine verunsicherte Anna – und sie werden mit dem geforderten Gesang im extremen Sprachrhythmus hervorragend fertig, nutzen die Chancen zu chanson-adaptierten Auftritten (Reinhard Becker und Jörg Zocher als Diener, Máté Sólyom-Nagy als Frau Schönler) und agieren in sensibler Abstimmung mit dem vorzüglich disponierten Chor (Andreas Ketelhut)!

Doch der gesamte imponierende szenische Aufwand führt weder zu unwiderstehlicher „suspense“ noch zu spürbarem gesellschaftskritischen Räsonnement – schon gar nicht zu loderndem Opern-Feuer: Sandra Hummels Libretto scheitert an der lakonischen Dialektik des Dürrenmatt-Romans, verkürzt epische Elemente zu verrätselnden Sentenzen und vertraut offenbar zu sehr dem John-Wayne-Motto „Denk mal drüber nach“. Franz Hummels Musik ist bestimmt von einem durchgehend eher handlungsbegleitenden Duktus, streicher-bestimmt, mit interagierenden Bläser-Passagen und stimulierenden Schlagwerk-Einsätzen. Fast einlullende großflächige Harmonien wechseln mit dramatisierenden Clustern, ästhetisch gezielten Anleihen an Tango, Walzer und spätromantische Harmonien.

Diese anhörbare, aber indifferente Partitur-Vorgabe wird vom Philharmonischen Orchester Erfurt unter dem kommunikativen Gerd Herklotz äußerst engagiert umgesetzt – die Instrumentengruppen harmonieren in eindrucksvoller Abstimmung, die sensible Unterstützung der Gesangs-Solisten ist musterhaft!

Dem gespannt folgenden Publikum im innovationsmutig-kompetenten Erfurter Theater will sich der sinnstiftende Gesamt-Zusammenhang des verklausulierten Geschehens nicht recht vermitteln: Viel Applaus für die Solisten, für das Regieteam und für das Orchester – aber eher reservierte Zustimmung für den Komponisten und seine Librettistin. Wie so oft: Das Publikum trifft mit seinem kollektiven Votum den Kern des Geschehens! (frs)
 










Fotos: L. Edelhoff