Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

NANA
(Manfred Gurlitt)
9. Mai 2010
(Premiere: 24. April 2010)

Theater Erfurt


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Aufstieg und Fall

Nana will raus aus ihrem Leben in der Unterschicht. Sie hat genug vom Dasein als Straßenhure. Als ein Zufallserfolg als Hauptdarstellerin der Operette Die blonde Venus ihr die Möglichkeit dazu gibt, wandelt sie sich mit sicherem Instinkt zur Edelhure, will den gesellschaftlichen Höhenflug. Ihr Fehler allerdings: sie sieht nicht, dass es einen klassenübergreifenden Aufstieg nicht geben kann. Das ist ein zentrales Thema in Emile Zolas Nana aus dem gigantischen sozialpolitischen Romanzyklus Rougon-Marquardt.

Die reichen Männer nutzen Nana als Spielzeug, sind vielleicht sogar aufrichtig verliebt, würden sie jedoch nie als gleichberechtigtes Mitglied akzeptieren. Als diese Erkenntnis in Nana aufkeimt, ist ihr Abstieg besiegelt. Die Blattern nehmen ihr nicht nur das Leben, sondern zerstören vorher ihr einziges Kapital: ihre Schönheit.

Max Brod goss Zolas Roman in ein absolut operntaugliches Libretto, dass das Schicksal Nanas in sieben Bildern erzählt. Manfred Gurlitt schrieb 1932 die Musik dazu, die für 1933 in Mannheim geplante Uraufführung wurde von den Nazis verboten. Gurlitt ging 1939 ins japanische Exil, wo er bis zu seinem Tod im Jahre 1972 lebte. Im Dortmunder „Theater am Hiltropwall“ gelangte Nana dann 1958 zur Uraufführung - eine Inszenierung, die dann 1967 in Bordeaux noch einmal wiederaufgenommen wurde. Seitdem ist das Werk nie mehr inszeniert worden – erst jetzt am Theater Erfurt, das seit Jahren mit Ausgrabungen von sich reden macht.

Regisseur Michael Schulz entwickelt deutliche, aber nie aufdringliche Bilder. Im Mittelpunkt von Dirk Beckers Bühne steht ein Bett - das verbindende Element aller Szenen. Hier wird in allen Richtungen versucht, mittels Sexualität Macht auszuüben. Die Kopulation als Mittel eines gefühlten wie echten Triumphs, das dennoch nie zu Gleichberechtigung führt, wird skrupellos und egoistisch genutzt. Das arbeitet Schulz in seiner schnörkellosen Inszenierung klar heraus. Und es gelingen ihm wirklich eindrucksvolle Szenen. Im scheinbar idyllischen Liebesnest von Nana und Philippe schaufelt ein Totengräber Erde in den Garten. Bei der wilden Party, die Renée Listerdal mit dezent-geschmackvollen Kostümen ausstattet, ist Nanas protziger Silberthron ein Kindersarg.

Schulz inszeniert wunderbar an der Musik entlang und schafft mit Rosemarie Deibel als stummer, heruntergekommener Komödiantin, die Nana als stetes Mahnmal begleitet, eine schöne, eine berührende Figur.

Ausgezeichnet wird gesungen. Die große Zahl an Solorollen kann das Erfurter Theater aus seinem Ensemble adäquat besetzen. Da gibt es keinerlei Ausfälle. Auch die Hauptpartien finden hervorragende Interpreten. So glänzt Ilia Papandreou als Nana mit gleißend-klaren Tonkaskaden. Richard Carlucci gibt mit seinem hellen Tenor den Philippe, der sich durch seine Liebe zu Nana in den Abgrund ziehen lässt. Peter Schöne ist der reiche Muffat, der Nana kaufen will, und mit raumgreifendem Bariton wohltönend seine Besitzansprüche kundtut. Besonders glaubhaft kann er vermitteln, wie er Nana im Augenblick ihres Todes endlich in Besitz nehmen kann. Nicht zuletzt ist der von Andreas Ketelhut vorbereitete Opernchor gefordert. Die an ihn gestellten Ansprüche erfüllt er problemlos.

Faszinierende musikalische Momente funkeln aus dem Orchestergraben: Enrico Calesso spannt dabei den Bogen von geradezu kammermusikalischer Intimität bis zur großen voluminösen Sinfonik. Gurlitts Klangsprache ist vielfältig, reicht von ansprechenden Melodien, die an Kurt Weills Song-Stil erinnern, über rhythmisch geprägte Sequenzen bis hin zu großen dynamischen Entwicklungen – Gurlitt erweist sich als Meister beim Umsetzen der Dramatik des Librettos in Bühnenmusik. Fazit: Eine wirklich lohnende Ausgrabung – wieder einmal.

Thomas Hilgemeier

















 
Fotos: Lutz Edelhoff