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Fakten zur Aufführung 

DAS KÄTHCHEN VON HEILBRONN
(Carl Reinthaler)
22. Mai 2009 (Dernière)
(Premiere: 21. März 2009)

Theater Erfurt


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Doch ein Happy End

Heinrich von Kleists Käthchen von Heilbronn war in seiner Urform als Schauspiel erfolgreich, zeitigte aber vor allem im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts immer wieder Opern-Vertonungen, angeregt wohl durch den 100. Geburtstag des Dichters Anno 1877.
Einer der Komponisten, die sich von Kleists „großem historischem Ritterschauspiel“ hat inspirieren lassen, ist Carl Reinthaler. Sein Käthchen von Heilbronn wird als Wiederentdeckung gefeiert: in Erfurt, Reinthalers Geburtsstadt.
Regisseur Peter Hailer zeigt indes keine ritterliche Love-Story aus dem 12. Jahrhundert. Theobald Friedeborn, Waffenschmied zu Heilbronn, ist eher ein ziemlich ausgepowerter Vorarbeiter einer Fabrik, einer Stahlhütte. Da gibt es eine Kantine, in der treffen die Blicke von Käthchen und Friedrich Wetter, dem Grafen vom Strahl aufeinander. Käthchens Ringen um des Grafen Liebe beginnt. Im Wege steht jene Frau, um derentwillen sich Graf vom Strahl mit dem Rheingrafen vom Stein auseinandergesetzt hat: Kunigunde.
Kunigunde, Herrin von Thurneck, residiert nicht auf einer Burg. Akt Zwei von Reinthalers Oper in Peter Hailers Lesart zeigt sie in einem nüchternen Saal mit einem riesig langen Bankett-Tisch, auf dem wohl bis gerade erst ein opulentes Mahl bereitgestanden hat. Und Käthchens Eintritt ins Kloster (Akt Drei) ähnelt einem Dienstantritt als Krankenschwester in einem Feldlazarett, in der sie sich fortan um arme Siechen kümmert, statt ihrer unerwiderten Liebe hinterher zu trauern. In diesem Lazarett erfährt Käthchen von der Entführung Kunigundes aus den Armen des Grafen vom Strahl, die der Rheingraf vom Stein plant. Käthchen kann diese Pläne rechtzeitig verraten, kommt aber um in den brennenden Trümmern der Burg der Rivalin. Oder kommt sie doch nicht um? Hat der Cherub, ihr schützender Engel sie behütet? Unter den dräuenden, vom Schnürboden herabfahrenden Trümmern inszeniert Peter Hailer das Happy End: Friedrich Graf vom Strahl und Käthchen finden zueinander, der Herr Papa ist Zeuge. Alle drei dürfen sich stärken und bekommen eine deftige Erbsensuppe. Kleines Detail: auf dem Tisch steht eine Maggi-Flasche. Allein: der waschechte Erfurter hätte den „Templer“ aufgetischt, die originale, einzig wahre Suppenwürze, was sonst!
Carl Reinthalers Käthchen ist womöglich eine Oper, die am besten in den zeitlichen und gesellschaftlichen Konstellationen verortet bleibt, in denen sie angelegt ist. Hailers Aktualisierungen jedenfalls bringen keinen nachvollziehbaren Erkenntnisgewinn, bieten eher eine Art Flickenteppich aus heterogenen Motiven und Assoziationen. Denkbar, dass der Stoff sich mit einiger Überzeugungskraft ins bürgerliche Milieu des 19. Jahrhunderts verlegen ließe.
Womit die Erfurter Produktion auf jeden Fall punkten kann, ist Reinthalers Musik. Die lohnt sich wirklich und füllt behutsam ein Vakuum an deutscher Opernmusik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts jenseits des Oeuvres von Richard Wagner, das neben diesem Bestand haben könnte. Reinthalers Käthchen erinnert an Robert Schumann, mitunter auch an Brahms, mit dem Reinthaler gut befreundet war. Doch die überaus farbig instrumentierte Musik zum Käthchen weist über beide auch streckenweise hinaus, wird dichter und dramatischer, opernhafter. Gleichwohl schreibt Reinthaler ausgesprochen sängerfreundlich. Nirgends deckt er mit dem Orchester die Solisten zu, vielmehr scheint er die Partitur ganz aus dem Geist des Gesanges heraus empfunden und angelegt zu haben. Ideale Voraussetzungen für die Protagonisten der Erfurter Inszenierung, die allesamt aus dem eigenen Hause kommen. Richard Carlucci ist ein echt ritterlicher Tenor, dessen Stimme so silbern strahlt wie der Helm, der ihn als den Grafen vom Strahl ausweist. Sein Widersacher, der Rheingraf vom Stein, sitzt lädiert im Rollstuhl – Peter Schöne leiht ihm seinen runden, in der Tiefe noch etwas ausbaufähigen Bariton. Máté Sólyom-Nagy schlüpft in die Rolle des Waffenschmieds Theobald: er ist wirklich eine Idealbesetzung, stimmlich wie schauspielerisch! Sein Töchterchen Käthchen ist bei Marisca Mulder in den besten Händen. Da kommen echte Gefühle zum Ausbruch, sie liebt und leidet und schmachtet, opfert sich auf – und dies alles mit einem geschmeidigen Sopran. An Emphase noch eins drauf legt Ilia Papandreou als fiese Kunigunde: mit gebieterischem, durch alle Register hindurch raumgreifendem Organ beherrscht sie, wo immer sie auch auftritt, die Szene. Bis zum finalen Scheitern, bei dem ihr auch ihr unschuldig schneeweißes Brautkleid nichts mehr nützt.
In den untergeordneten Rollen machen Jörg Rathmann als Knappe Gottschalk und Vazgen Ghazaryan als Türmer von Schloss Thurneck eine gute Figur; Alice Rath gibt die aufmerksame Lenore. Eine nicht zu unterschätzende Aufgabe übernimmt der Opernchor des Theaters Erfurt. Andreas Ketelhut hat ihn ausgezeichnet vorbereitet.
Dass Reinthalers Käthchen musikalisch keine Eintagsfliege bleiben muss und sollte, bezeugen das Philharmonische Orchester Erfurt und sein Dirigent Samuel Bächli. Frisch und engagiert wird da gespielt, aufschäumende Dramatik findet ihre Grenzen immer dann, wenn der Gesang im Vordergrund steht.
Das Publikum lässt sich betören von der Oper des Sohnes ihrer Stadt, von ihren Klängen, die über das mitunter recht plumpe Libretto hinwegtrösten, und folgt der zarten Liebesgeschichte aufmerksam. An diesem Tag wird die letzte Aufführung geboten. Das Erfurter Opernhaus (immer wieder faszinierend dank seiner Architektur und seiner Funktionalität) ist nahezu restlos gefüllt. Man folgt gespannt dem Geschehen auf der Bühne – und bejubelt am Ende das Orchester, den Dirigenten, den Chor und die Solisten.

Christoph Schulte im Walde

 








 
Fotos: Lutz Edelhoff