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Fakten zur Aufführung 

UN BALLO IN MASCHERA
(Giuseppe Verdi)
5. Dezember 2009 (Wiederaufnahmepremiere)
(Premiere: 12. April 2008)

Theater Erfurt


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Trostlose Zukunft?

Meterhohe Trümmer ragen in den Himmel, dicke Betonplatten schieben sich ineinander, Wracks ausgebrannter Autos stehen herum an diesem gespenstischen Ort, der von grauem Staub bedeckt ist. Nine Eleven auf der Opernbühne? Ja, Johann Kresnik verortet Verdis Un Ballo in maschera dezidiert in die Zeit nach dem verheerenden Anschlag auf die Twin Towers in Manhattan. In eine Zeit also, in der die amerikanischen Machthaber den Kampf gegen den islamischen Terrorismus mit allen Mitteln ausgerufen und die Achse des Bösen für sich ganz genau bestimmt haben.

In Verdis Ballo geht es um den Mord an einer Führungspersönlichkeit, motiviert aus Eifersucht. Sei es drum, dass dabei der engste Freund dran glauben muss. Und es geht – was sonst – auch um eine tragische Liebesgeschichte. Die wird von Johann Kresnik auch sehr transparent erzählt. Das Politische bleibt dagegen eher nebulös. Wer ist Riccardo? Der Anführer einer Spezies, die es mit Raffinesse geschafft hat, am Leben zu bleiben – während das gemeine Volk buchstäblich dahinsiecht? Zur Ouvertüre schleppen sich mausgraue Körper von links nach rechts über die Bühne, abgewrackte Leiber. Die könnten auch Ausdruck einer gespaltenen Zivilisation sein: hier die sich an Macht und Geld und Luxus erfreuenden Winner, dort die Looser, überflüssiges Menschenmaterial, nach dem keiner (mehr) fragt. Später, im Umkreis der Wahrsagerin Ulrica, tummeln sich eine Menge Prols. Dann wieder kommen smarte Banker mit Schlips, Kragen und Aktentasche aus den Trümmern empor, von oben bis unten eingehüllt in Staub. Schließlich der Maskenball. Da marschieren schräge und knallbunt kostümierte Typen auf, ganz amerikanisch – Onkel Sam mit weißem Zylinder und blaurotweißem Frack inklusive.

Kresniks Intention bleibt rätselhaft. Was will er eigentlich mit seinem Ansatz? Ist das antiimperialistisch? Antiamerikanisch? Antikapitalistisch? Oder führt er uns die Vision einer trostlosen Zukunft vor Augen? Die Antwort bliebt im Dunkeln - vor allem weil eh nur die Oberschicht agiert.

Was auf jeden Fall passiert: es wird sehnsüchtig und glaubwürdig geliebt. Und diese zutiefst menschlichen Emotionen finden Entsprechung in der musikalischen Umsetzung der Verdischen Partitur. Walter E. Gugerbauer am Pult des Philharmonischen Orchesters Erfurt schafft einen äußerst differenzierten Klang. Gewaltige Ausbrüche im saftigen Orchester-Tutti stehen da neben unglaublich anrührenden, intimen Momenten wie dem, da Amelia darum bittet, ihr Kind noch einmal sehen zu dürfen. Wie Gweneth-Ann Jeffers diese Abgründe menschlicher Emotionen in Klang umsetzt, ist schlichtweg sensationell. Aber nicht nur in dieser Szene, sondern den ganzen Abend über zeigt sie als Riccardos Geliebte große Klasse, mobilisiert mühelos tiefste Tiefen und höchste Höhen – ohne irgend einen Bruch, spannungsvoll bis hinein ins zarteste Pianissimo. Richard Carlucci ist der ideale Riccardo. Er bringt jenes optimale Maß an Italianitá mit, das diese Rolle absolut glaubwürdig und authentisch werden lässt. Und verfügt bis zum Schluss – ein typisch langes Opern-Sterben – über Ausdauer, Kraft und Beweglichkeit. Seinen Gegenspieler Renato gibt Paolo Ruggiero mit stattlichem Bariton. Der lässt auch darstellerisch keinen Zweifel daran, dass er sein hinterhältiges Spiel bis zum Ende konsequent durchzieht. Ihm ergeben sind die Verschwörer Tom und Samuel, die zeitweise in der Maske von Schwein und Affe auftreten. Michael Tews und Vazgen Ghazaryan lassen nirgends einen Wunsch offen. Ebenso wenig wie Máté Sólyom-Nagy in der (kleinen) Rolle des Silvano.

Ganz fantastisch – und neben Gweneth-Ann Jeffers’ Amelia eindeutig ein weiteres stimmliches Pfund, mit dem diese Inszenierung auftrumpfen kann – findet sich Julia Neumann in ihre Rolle als Page Oscar ein: stimmlich brillant, mit hundertprozentig präziser Intonation, sicher und lupenrein in ihren Koloraturen – dazu schauspielerisch exquisit. Gleiches gilt uneingeschränkt auch für Mihaela Binder-Ungureanu, ein Mezzo von enormem Ambitus und elektrisierendem Ausdruck.

Christoph Schulte im Walde

 









 
Fotos: Lutz Edelhoff