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Fakten zur Aufführung 

DAS RHEINGOLD
(Richard Wagner)
6. Oktober 2009
(Premiere: 26. September 2009)

Muziekkwartier Enschede
Nationale Reisopera


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Gier

Nach der spektakulären Eröffnung des beispielhaften Muziekkwartiers in Enschede wagt sich die Nationale Reisopera an Wagners Ring – geht aber mit dem Rheingold nicht „auf Reisen“, sondern bleibt mit den sechs Vorstellungen vor Ort.

Antony McDonald inszeniert eine spannungsreiche Geschichte der Gier als Stimulans „gesellschaftlichen“ Handelns, zerlegt in unterschiedliche Handlungsmodi – mit dem gleich bleibenden Faktor zynischer Lebens-Verachtung. Zunächst die von Alberich beraubten Rheintöchter, dann der betrügerische Wotan, schließlich der raffinierte Loge – am Ende der brutale Fafner und der Zug der „Götter“ in ein laser-gestaltes Walhall, eine ferne Disney-World in Schnee und Eis.

McDonald lässt die Protagonisten sehr bewusst lakonisch kommunizieren, steckt sie in durchaus heutige Kostüme – quasi Menschen wie Du und Ich. Sein Bühnenbild wird von einer Gebirgslandschaft als Meisterwerk perfekter Theater-Malerei bestimmt, das durch zauberhafte Licht-Effekte von Mimi Jordan Sheri zu immer neuen Assoziationen führt.

Das sehr präzis folgende Orkest van het Oosten wird vom konsequent leitenden Ed Spanjaard zu beeindruckend interpretierender Musikalität geführt, reagiert intensiv auf subtile Tempo-Wechsel, kostet die einfühlsam konzipierte Dynamik assoziationsreich aus, spielt äußerst luzide, lässt sich nicht auf knallige Effekte ein und überzeugt durch transparentes Zusammenspiel der (Solo)-Instrumente.

Harry Peeters gibt dem Wotan schon im Vorspiel der Trilogie indifferenten Charakter, drückt diese notorische Ambivalenz gefühlvoll aus, setzt sein Stimmpotential eindrucksvoll ein. Anne-Marie Owens ist eine an Wotans „Gier“ schier verzweifelnde Fricka stimmlich prononziert, mit viel Ausdruck in der Mittellage. Nicholas Folwells gieriger Alberich überzeugt sowohl als Herrscher über die ausgebeuteten Nibelungen als auch als betrogener Betrüger – eine variationsreiche Stimme mit bemerkenswerten Zwischentönen. Erin Caves fasziniert als strategisch-skrupellos trixender Loge, interpretiert die Rolle mit geradezu zynischer Stimmgebung, persuasiv im Duktus, sicher in den geforderten Lagen. Mit Thomas Oliemans als Donner und Andre Post als Froh sind Götter-Karikaturen zu erleben – mit beeindruckenden Soli in ihren so verräterisch-unreflektierten großen Auftritten! Adrian Thompsons Mime überzeugt als geknechteter Nibelung; Philippe Kahn und Gregory Frank vermitteln als Fasolt und Fafner das ausdrucksstarke Bild der eindimensional auf ihren „Verträgen“ bestehenden Unterschicht-underdogs – sonor artikulierend, ohne übersteigerte stimmliche Dramatik. Ceri Williams ist eine abgeklärt weissagende Erda mit eher zurückhaltender Alt-Kraft – und Hanneke de Wit, Marjolein Niels und Corinne Romijn spielen und singen irritierend-verstörte Rheintöchter, lustvoll intonierend, mit kapriziösem Klang. Machteld Baumans intoniert behutsam die Geisel Freia, wird – ein hinreißender Einfall! – mit goldenen Gewändern überworfen, bis der letzte Augenschlitz frei bleibt.

Im neuen Muziekkwaartier in Enschede herrscht durchaus „Bühnenfestspiel“-Stimmung – anders als ansonsten in Holland, wenn Parsifal, Holländer, Lohengrin oder Tristan auf dem Spielplan stehen. Das Muziekkwaartier, die Nationale Reisopera und die „Wagner Genotschap“ haben offenbar einen Sog erzeugt, der das Charismatische des Wagner-Rings vermittelt. Die Spannung im Auditorium hält zweieinhalb Stunden an - allerdings gibt es auch die Damen, die nach einer Stunde die Toilette besuchen, danach gierig ihre Wasserflaschen benuckeln und sich partout nicht auf den Duktus der Oper einlassen wollen. Doch – auch für holländische Zuschauer-Rituale eher selten – gibt es Standing Ovations bereits zum ersten „Vorhang“ - zu Recht leidenschaftlich-bewundernder Respekt für eine bemerkenswerte Performance. Wagner-Gäste aus dem Nachbarland werden mit deutschsprachigen Übertiteln gut bedient - und die Reise lohnt!

Franz R. Stuke

 

 








 
Fotos: © Marco Borggreve