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Fakten zur Aufführung 

HOTEL DE PEKIN
(Willem Jeths)
19. November 2008 (Vorpremiere)
(Uraufführung: 21. November 2008)

Nationaal Muziekkwartier Enschede
Nationale Reisopera Nederlande


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Hommage an Chinas Historie

Es ist eine fulminante Hommage an die letzte Kaiserin Chinas Cixi (bis 1908); aber es ist auch eine fantasievolle Auseinandersetzung mit den Jahrtausende alten Zwängen chinesischer Geschichte, europäische, Imperialismus – und der ungewissen Zukunft Chinas unter ökonomisch westlicher „Dekadenz“.

Zu diesen Aspekten erfindet Friso Haverkamp 18 Traumszenen – nicht narrativ vernetzt, aber mit einem verrätselten roten Faden - vom phantasmagorischen Dialog der umstrittenen Cixi zu Zeiten des Tiefpunkts chinesischer Geschichte mit dem ersten Kaiser Qin Shi Huangdi bis zur eher verdämmernden Apotheose.

Willem Jeths entwickelt dazu eine chinesisch ästhimierende Musik mit Hilfe eines klassischen Sinfonieorchesters, besetzt mit einer riesigen Perkussion-Abteilung inklusive Chinesischem Gong; er setzt – theoretisch aufwändig begründet – auf vielfältige Verweise zu Wagner, Berg, Lehar in der Partitur - vermag aber diese divergierend-oszillierenden Elemente nur für wenige kundige Hörer in nachvollziehbaren Klangbildern assoziativ zu vermitteln.

Ed Spanjaard gelingt mit dem hochkonzentrierten Orkest van het Oosten ein kontinuierlich intensiver Duktus der Musik mit ihren verschlüsselten Botschaften und ihrer permanenten Überlagerung europäisch-klassischer und alt-chinesischer Musik-Traditionen. Dabei beeindruckt das Zusammenspiel mit den elektroakustisch verstärkten Solisten auf der Bühne und aus dem Off.

Huntley Muirs farbenfroh-assoziationsreiche Bühne insinuiert – bisweilen souverän ironisierend – zeittypische Codes mit dem ersten Kaiser und der letzten Kaiserin: das Grab mit 8099 Soldaten, die Mauer, den europäischen Imperialismus mit Queen Victoria, aktuell China als Spielzeug-Fabrik, Visionen einer neuen Zukunft.

Amir Hosseinpour stellt die erschütterte Cixi in den Mittelpunkt der Handlung, präsentiert überraschende Effekte historischer Momente, spielt Intermezzi lustvoll aus - und verdeutlicht Cixis zweifelhafte Kraft aus einer heroisierten Vergangenheit, in den Erschütterungen der erlebten Realität der Demütigungen um 1900 und die ratlosen Erwartungen an eine nicht steuerbare ungewisse Zukunft. Problem der Inszenierung: Die Funktion der diversen handelnden Figuren und ihre Identität bleibt bis zuletzt ein Geheimnis, wird auch nicht durch prägnantes Agieren plausibel.

Für die Gesangs-Solisten stellen sich hochkomplizierte Aufgaben exaltierten Sprech-Gesangs mit fast flüsternden Passagen, geheimnisvoll-ausdrucksstarken Vokalisen, Einsatz der Kopfstimme und andeutenden ariosen Intonierens. Marie Angel ist eine extrem wandlungsfähige Cixi, hochkompetent in der Wahl ihrer virtuosen stimmlichen Möglichkeiten. Dennis Wilgenhof tönt sonor als erster Kaiser Huangdi aus dem Off. Iestyn Morris gibt dem moderierende Anzi flexible stimmliche Modifikationen. Robert Burr singt die Queen Victoria rollentypisch im Stil der englischen Operetta. Marrijs van de Woerd als Guangxu und Zhang Huiyong als Princesse Sumaire vermitteln virtuos eingreifende Gestalten mit staunenswerter stimmlicher Variabilität. Als The Versaces treiben Mijke Sekhuis, Antje Lohse und Ceri Williams mit stimmlicher Brillanz das historische Kaleidoskop der traumatischen Entwicklung voran.

Zur Eröffnung des spektakulären Muziekkwartiers in Enschede ist der große Saal gefüllt mit neugierig-stolzen Bürgern der Stadt. Immerhin ist hier ein Highlight des florierenden Musiklebens in Twente mit Auswirkungen auf die gesamten Niederlande neu zu erleben! Das größtenteils unvorbereitete Publikum der Vor-Premiere ist offensichtlich überrascht ob der unerwarteten Klänge und Bilder - lässt sich aber gebannt auf die zu ahnende Bedeutung ein: Ein Triumph für verstörend-imaginierendes Musiktheater! Abseits vom klassischen Repertoire goutiert ein unbefangenes Publikum innovative Performances – auch ohne die tradierten Mechanismen (pseudo-)intellektueller Bedeutungs-Zuweisung. (frs)
 




Fotos: Marco Borggreve