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Fakten zur Aufführung 

DER MANN VON LA MANCHA
(Mitch Leigh/Dale Wasserman/Joe Darion)
19. Januar 2008 (Premiere)

Landestheater Eisenach


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Exterritorial zum Tod

Dicht wie selten, trifft der Besucher auf deutsche, europäische und Weltgeschichte in dieser thüringischen 40.000-Seelen-Stadt. Junker Jörg und die Wartburg, wo der inkarnierte Weltgeist in nur zehn Wochen das Neue Testament übersetzte. Ort des legendären Sängerstreits, Forum für den von Novalis literarisch verewigten Vorläufer der Gewissensfreiheit, Heinrich von Ofterdingen. Klingsor und die Heilige Elisabeth, Ritter Liszt und Bürger Wagner, Inspirationsstätte für Schlossstifter Bayernludwig, Bachs Taufkirche und Telemanns zeitweiliger Wohnsitz, Lutherhaus und Deutschlandfahne kreierende Burschenschaftler, die Reihe ließe sich noch unglaublich lange fortsetzen. Mittlerweile hat sich der Weltungeist des globalisierten Endkapitalismus in Eisenach breit gemacht. Während das Kapital, wie im Manifest prognostiziert, um den Erdball jagt, machen die kulturpolitisch Verantwortlichen vor Ort das renditeuntaugliche Theater platt. Noch fünf Monate, bis sich das Ensemble in alle Winde zerstreut, bis auf einen kleinen Rest, der dem Sog Meiningens nicht lange wird widerstehen können. Ein kerndeutsches Trauerspiel.

Umso mutiger von Intendant Michael W. Schlicht, weil es emotional an eigene Verwundungen und Enttäuschungen der Kulturschaffenden rührt, mit dem Musical „Der Mann von La Mancha“ ein Stück auf den letzten eigenbestimmten Spielplan zu setzen, das von einer Hoffnung liebevoll erzählt, die sich exterritorial zum Tode verhält. Und damit der Losung des gerade in Thüringen damals heftig tobenden Bauernkriegs eine Lanze bricht: „Geschlagen zieh'n wir heut' nach Haus, die Enkel fechten's besser aus.“

Schreibmaschinengeklapper, Windradanlagen in gewitterschwarzer Landschaft, das tamponierte Licht bleibt über den Wolken, es ist nicht hell, frei nach Fried, aber es könnte hell sein. Regisseur Gabriel Díaz, gebürtiger Venezolaner, verlegt die ineinander verschachtelten Geschichten des lebensbilanzierenden Cervantes und des unzeitgemäßen Don Quixote in eine spanische Hotellobby, mit dem Charme der frühen 80er. Durchreisende sind wir, grundsätzlich. Um dort dann gekonnt alle Register zu ziehen, die einem strukturell low budgetierten Haus zur Verfügung stehen. Der Zuschauerraum wird mit einbezogen in die Handlung. Das Haus verfügt über keinen eigenen Chor, ein solcher ist im Musical selbst gar nicht vorgesehen, aber die trinkfesten, stoßbereiten, zeigefreudigen, dem traurigen Ritter antitypischen Latinotänzer (unter der vorzüglichen Choreographie von Tomasz Kajdanski) singen überraschend gekonnt mit, bevor der besungene Kleine Fink zum erzwungenen kleinen Fick mutiert. Die hauptsächlich dem Cervantes beigesellten Flamenco-Carmesitas aus dem Ballett stehen in Erotik und Ausdruck ihren arenatauglichen Machokollegen in nichts nach. Dazu ein leidenschaftlicher Extrachor, geschickt verstärkend, interpretierend, die Bewegung im Stück vorantreibend und in Umschaltfunktion. Und mit Antonio de Cádiz ein spanischer Sologitarrist der Extraklasse.

Díaz zeigt sich als erstaunlich ausgereifter Zeichner von Psychogrammen, dabei unterstützt von Dramaturg Stefan Bausch.. Es gelingt seiner Personenführung, die sich in ein und demselben Raum abspielende doppelte Handlungsebene zu keiner Zeit in anödende Statik gerinnen zu lassen. Ein geschickter Wechsel von kurzen Tableaux und ansonsten unauffälligem Weiteragieren, ohne dass man jeweils dran wäre, gibt der Aufführung eine außergewöhnliche Dichte und ein fließendes, jeder Monadisierung wehrendes Ineinanderübergehen. Der Zuschauer sieht sich auf der Bühne und ist darob kein bisschen irritiert. Bei allem Wechsel der Situationen wird die Zeit nicht segmentiert, sondern erhält einen episch-fließenden Charakter. Wie in einer Lobby eben, Kommen, Gehen und gleichzeitiges Verweilen der Ungleichzeitigen. Wir leben in einer Welt, aber nicht in derselben Zeit.

Das konkludente Bühnenbild (Nikolaus Porz) facht die Phantasie der Zuschauer ohne jeden technischen Schnickschnack an. Selbst die Freitreppe, die eine zweite Spielebene eröffnet, wird mit Hand verschoben. Wunderbar der Ventilator, der in den Augen des Betrachters eine Windmühle darstellt und den armen Don Quichote schnell und unsanft abwirft. Am Schluss die nieder fahrende Himmelsleiter, die Cervantes als sein alter ego Don Quichote aufsteigen lässt in die Unsterblichkeit des Ruhms.

Die Kostüme, mit wenig Mitteln und viel Liebe und Phantasie von Ute Werner entworfen. Das Visier des Ritters von der traurigen Gestalt erinnert aufgeklappt an eine Aureole. Die Damen in rassigem Flamenco, die Herren in farbenprächtigem Torrero. Dr. Carasco als Therapeut im Enterprise-look, die Stimme verfremdet.

Die Musik hat andalusisches Feuer, um dann wieder einfühlsam den großen cantus firmus dieses Musicals zu begleiten: „Träum' den unmöglichen Traum.“ Mathias Mönius, Erster Kapellmeister, versteht es dabei, die Sänger trotz Schlagzeug, Gitarren und Holzblasinstrumenten jederzeit textverständlich bleiben zu lassen.

Zwei Protagonisten müssen aus dem durchweg guten Ensemble herausgehoben werden: Elke Hartmann als Aldonza/Dulcinea und Jürgen Orelly in der Rolle des Don Quichote. Wie die Hartmann die Geschichte einer Erhebung aus der hoffnungslosen Trostlosigkeit in die zugesprochene Würde spielt und singt, beeindruckt tief. Nichts ist schwerer auf der Bühne umzusetzen als eine Vergewaltigung. Diese Szene beklemmend, ohne die Würde der Sängerin anzutasten. Elke Hartmann gibt sich keine Blöße. Orelly und der sanftmütige Ritter. Man meint, durch den „alten“ Herrn durchsehen zu können, so zart, so zerbrechlich, so wirklichkeitsfremd und wahrheitsnahe spielt Orelly den Mann nicht von dieser, aber einer möglichen Welt. Beide auch auf sängerisch hohem Niveau.

Hervorragend besetzt der tumbe Tor Sancho Pansa mit Roland Hartmann, bäurisch-linkisch in den Bewegungen, subversiv verschmitzt und loyal. Schauspielerisch ebenso eine Glanzleistung wie von Ernst Volker Schwarz in der Rolle des moribunden Cervantes. Beide stimmlich ausgereift. Johannes Weinhuber (Dr. Carrasco/Anselmo) spielt superb den Schnösel, die gepflegte Stimme elegant.

Der wunderbare Dario Süß, Bass der Extraklasse, gibt sich in der kleinen Rolle des Wirts die Ehre, Daniel Gundermann als Pater überzeugt mit seinem glockenklaren, einschmeichelnden Belcanto-Tenor und empfiehlt sich für höhere Aufgaben. In den weiteren Rollen: Anna Maria Tasarz (Maria), Krista Kujala (Antonia), Helmut Kleinen als urkomischer Barbier, Marcus Coenen in der Rolle des Pedro und last not least Sonja Trebes als Haushälterin.

Das begeisterungsfähige Publikum spendet 12 Minuten lang standing ovations. Ein Hauch von Wehmut und Abschied liegt über dem Saal, nicht nur Elke Hartmann braucht ein Taschentuch. Mit Opernnetz-Professor Franz Stuke: Schnell noch mal hin, bevor der letzte Vorhang fällt.

Frank Herkommer

 

 






Fotos: Katharina Hesse