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Streng und pur
Es ist ein Event der totalen Seriosität: streng und pur sind dreieinhalb
Stunden Händel auszusitzen - vor schwarzem Vorhang, ohne jegliche Effekte.
Allein Emmanuelle Haims tiefes Rückendekollete im eng taillierten schwarzen
Spitzenkleid macht da optisch Furore. Sie dirigiert ausgesprochen umsichtig,
ermuntert Musiker und Sänger, hat aber wenig Sinn für wechselnde Tempi,
was auf die Dauer den Eindruck von Monotonie nicht vermeiden lässt. Das
Scottish Chamber Orchestra besticht durch konzentrierte Ernsthaftigkeit,
glänzend Flöten, Violinen- und Trompetensoli zum Teil im Duett mit den
Sängern.
Die Rollen aus Metastasios "Alexander in Indien" wirken in ihrer gesanglichen
Interpretation fast wie allegorische Figuren: Alessandro als die moralische
Beständigkeit, von Toby Spence tapfer durchgestanden, aber ohne Faszinosum.
Die indische Königin Cleofide als die liebende Wehmut, von Sarah Fox fast
flehentlich vorgetragen, mit weitschwingendem melancholischem Bogen. Timagene,
Alexanders General, als die Macht, haudegenhaft präsentiert von Tim Mirfin.
Erissena, Poros Schwester, als die Hoffnung, von Christine Rice bravourös
und ungemein anrührend gesungen. Gadarte, Poros Getreuer, als die List,
vom Sopranisten Robin Tyson sehr spitz und ohne feste Grundierung eher
fizzy abgeliefert. Schließlich Poro, der indische König, als eifersüchtige
Konstante im "Sturm" der Ereignisse: Jane Irwin verlässt sich nicht auf
die Orchester-Vorgaben, ist flexibel, vermittelt Emotionen und zeigt ihre
große Klasse als alle Modulationen beherrschender Mezzo!
Man erinnert sich allerdings mit nachträglicher Emphase an die Purcell-Versionen
des Balthasar-Neumann-Ensembles und -Chors während der RuhrTriennale:
mit authentischen Zwischentexten, sparsamem Agieren und signifikanten
Bildsymbolen lassen sich Gefühle sensibilisieren, wird das Mysterium der
Barockopern Wirklichkeit, zu Zeiten unaussprechbarer Dissonanzen und Ambivalenzen
ist das emotionale Singen mehr als die Fortsetzung von Sprache mit anderen
Mitteln!
In den Pausen argumentieren Händelexperten anhand von Quellenmaterial
das Händel-Werk; mitten zwischen einem Gelegenheitspublikum, wie direkt
von der Straße. Die Szenerie hat etwas Anarchisches. Gerüche wie in der
überfüllten U-Bahn, fish and chips und Sandwiches von den gegenüberliegenden
take-away-bars, ein Durcheinander aller Kultursprachen dieser Erde. Solche
Resonanzen sind die Zukunft der Oper. (frs) |
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